american pie
: Michael Jordan hört endgültig auf – oder?

Der allerletzte Wurf

Noch weiß man nicht, wie der allerletzte Wurf in der Karriere des Basketballers Michael Jordan ausfallen wird, wenn er heute Abend mit den Washington Wizards das letzte Saisonspiel bei den Philadelphia 76ers absolviert (1 Uhr, live auf Premiere). Ein siegbringender Jumpshot, wie so oft in seiner Karriere? Ein Buzzerbeater auf den Korbrand, wie so oft in jüngster Vergangenheit? Ein Korbleger, ein Dunk gar? Ganz egal, denn eines ist sicher. Ein solch vollkommenes Kunstwerk wie jener Meisterschafts-Wurf gegen Utah, der 1998 seinem vorherigen Rücktritt vorausging, kann ihm nicht mehr gelingen.

Dafür scheint gewiss, dass es diesmal tatsächlich der endgültige Abschied vom größten Basketballer aller Zeiten sein wird. Mit 0,1 Prozent hatte er nach seinem letzten Rücktritt die Wahrscheinlichkeit eines Comebacks beziffert, das reichte für den basketballsüchtigen Jordan, noch zwei Jahre bei den Wizards dranzuhängen. In den vergangenen Wochen betonte der 40-Jährige unaufhörlich, dass er auf keinen Fall weiter spielen werde, egal, ob Washington sensationell Meister würde, oder ob man das heiß ersehnte Ziel, die Play-offs, verpasse. Seit dem Wochenende ist Letzteres klar.

Grund genug für Michael Jordan, mit gewaltiger Wut im Bauch in den Ruhestand zu gehen. Die Play-offs mögen als ein bescheidenes Ziel für jemanden erscheinen, der mit den Chicago Bulls sechs Titel gewonnen hat, doch Jordan verfolgte es mit brennendem Ehrgeiz. Vor der Saison krempelte er die Wizards völlig um, schickte den talentierten, aber noch lernbedürftigen Richard Hamilton nach Detroit, holte mit Jerry Stackhouse, Larry Hughes, Bryon Russell und Charles Oakley gestandene Profis, die ein wenig Last von seinen Schultern nehmen sollten. Bald jedoch war von den anfänglichen Absichten, nur noch als Ersatzspieler von der Bank zu kommen und nie mehr als 30 Minuten pro Partie zu spielen, nichts mehr übrig. Da sein Körper im Gegensatz zur Vorsaison standhielt, war er mit seinem unbändigen Siegeswillen bald allgegenwärtig. Als er jüngst wieder einmal wie ein Berserker, aber vergeblich gekämpft hatte, mussten die Mitspieler als Blitzableiter herhalten. Ihnen fehle die Leidenschaft, schimpfte Jordan. Für sie sei es eben leicht zu sagen, probieren wir es halt im nächsten Jahr wieder, während er nur noch diese eine Chance habe, erkannte er voller Bitterkeit.

Neben Stackhouse, der über zu wenig Spielanteile klagte, litten vor allem die jungen Spieler unter den Ambitionen ihres Herrn und Meisters. Es sei natürlich toll gewesen, mit Michael Jordan zu spielen und von ihm zu lernen, sagte etwa Center Brendan Haywood, als Team habe man jedoch kaum reifen können. „Du durftest dir keine Fehler leisten, dann wurdest du sofort rausgenommen und angebrüllt.“ Am Ende machte der Boss fast alles allein, Coach Doug Collins, kommende Saison wieder Jordans Angestellter, wenn der auf seinen Sportdirektorposten bei den Wizards zurückkehrt, ließ ihn gewähren und übte seinerseits scharfe Kritik an den Kollegen von Jordan. „Mit 40 Jahren kann auch er ein unterdurchschnittliches Team nicht in die Play-offs bugsieren“, sagte er nach dem letzten Heimspiel am Montag, einer Niederlage gegen New York.

Obwohl Jordan konstant gut spielte, gab es den Überflieger von einst nur phasenweise zu sehen, vor allem dann, wenn er gereizt war. „Nicht mehr ganz der alte Michael, wie?“, neckte ihn Atlantas Jason Terry kürzlich unvorsichtigerweise kurz vor Schluss. Jordan antwortete mit zehn Punkten in Folge. Bezeichnend, dass es zum Sieg trotzdem nicht reichte. Dem alten Jordan wäre das nie passiert. Weshalb es den noch älteren wohl tatsächlich nicht mehr geben wird. MATTI LIESKE