Konjunkturfrühling in weiter Ferne

Nach dem Frühjahrsgutachten wächst der Druck auf Rot-Grün, etwas für die Konjunktur und gegen die Arbeitslosigkeit zu tun. Bloß was? Die Vorschläge der Wirtschaftsinstitute sind (fast) die gleichen wie im letzten Jahr: Sparen und Reformieren

aus Berlin BEATE WILLMS

Jetzt ist die Bundesregierung dran. Nach der OECD, dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der EU-Kommission glauben auch die sechs führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute nicht mehr daran, dass sich die Konjunktur in Deutschland bald erholt. In ihrem gemeinsamen Frühjahrsgutachten erwarten sie für 2003 nur noch ein Wachstum von 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), also der Summe aller im Land erzeugten Waren und Dienstleistungen. Auch für das kommende Jahr sehen sie keinen Durchbruch. Sie sagen zwar ein Plus von 1,8 Prozent voraus – mindestens einen halben Prozentpunkt davon rechnen sie aber der Tatsache zu, dass das Jahr 2004 fünf Arbeitstage mehr hat als 2003. Bundesfinanzminister Hans Eichel und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (beide SPD) sind nun die Letzten, die noch an einer Prognose von 1,0 Prozent festhalten.

Auch die Wirtschaftsinstitute waren in ihrem letzten Gemeinschaftsgutachten im Herbst noch davon ausgegangen, dass das BIP in diesem Jahr um 1,4 Prozent steigen würde. Diese Fehleinschätzung erklärten die Forscher gestern mit der geopolitischen Lage. Sie hätten weder den Irakkrieg einkalkuliert noch die Folgen der Börsenkrise ernst genug genommen. Aktuell gehen sie nun davon aus, dass der Krieg rasch vorbei ist, der Ölpreis stabil bleibt und sich die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen so wieder verbessern. Das dürfte auch dem deutschen Export zugute kommen, der zuletzt Deutschland vor einer weiteren Rezession bewahrt hatte.

Das geringere Wirtschaftswachstum wird nicht nur die Lage der öffentlichen Haushalte weiter verschlechtern, sondern auch die Zahl der Erwerbslosen erhöhen: Schon in diesem Jahr rechnen die Konjunkturforscher mit 4,45 Millionen, 2004 könnten es sogar 4,5 Millionen Frauen und Männer sein. Einen nachhaltigen ostdeutschen Aufholprozess wird es dabei weiterhin nicht geben. Im Gegenteil. Zwar soll sich die Wirtschaft in den neuen Bundesländern 2003 wegen der Aufbauarbeiten nach den Flutschäden des vergangenen Jahres mit 1,0 Prozent etwas besser entwickeln als im Westen. Aber 2004 könnte das ostdeutsche Wachstum, liegen die Gutachter richtig, mit 1,5 Prozent schon wieder hinter dem gesamtdeutschen zurückbleiben.

Bei ihren Vorschlägen, was die Bundesregierung tun kann, halten sich die Institute an die – bislang wenig bewährten – Vorlagen der internationalen Institutionen: Sie empfehlen „strukturelle Reformen“ des Arbeitsmarktes und der Sozialsysteme, niedrigere Steuern sowie striktes Sparen, um den Haushalt zu konsolidieren. Bislang sei die Bundesregierung mit ihren „Reformbemühungen“ auch durchaus auf dem richtigen Weg. Allerdings könnten die in der Agenda 2010 angekündigten Maßnahmen „nur ein Anfang“ sein.

In einer ersten Reaktion griff Wirtschaftsminister Clement diese Vorlage auf und erklärte, er halte seine Politik im Kern für bestätigt, wenn auch für unterbewertet. Wirtschaft wie Gewerkschaften dagegen zeigten sich über die „mageren Konjunkturaussichten“ zwar nicht überrascht, aber enttäuscht. Der Bundesverband der Deutschen Industrie forderte „mutige strukturelle Reformen“ und meinte damit schnelleren Sozialabbau und Deregulierung. Der Deutsche Gewerkschaftsbund empfahl stattdessen ein Paket aus Steuersenkungen zur Stimulierung der privaten Nachfrage und gezielter Investitionsförderung: Unternehmen, die überdurchschnittlich investieren, sollen einen Zuschuss von 7,5 Prozent bekommen, die geschwächten Kommunen mit direkten Finanzhilfen unterstützt werden.