Klassensystem für Behinderte?

Internes Positionspapier: Arbeitsämter wollen etwa 8.000 Geburtsbehinderte nicht mehr in Werkstätten fördern

BERLIN taz/epd ■ Die Bundesanstalt für Arbeit (BA) in Nürnberg erwägt, die Förderpraxis für Behinderte weitgehend einzuschränken. Dies geht aus einem internen Positionspapier der Abteilung „Rehabilitation“ hervor, das der taz vorliegt. Dabei sollen die Änderungen vor allem behinderte Menschen betreffen, die „nicht der Versicherungspflicht der BA unterliegen“ – die bisher also keine Beiträge an die Arbeitslosenversicherung entrichtet haben.

Diese „Beschränkung der Förderung von Maßnahmen im Eingangsverfahren und im Berufsbildungverfahren einer Werkstatt für behinderte Menschen“ würde vor allem jene 8.000 Menschen in Deutschland betreffen, die von Geburt an behindert sind.

Die „Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für Behinderte“ kritisierte die angedachte Änderung ihrer Förderpraxis. Sprecherin Marion Möhle: „Das ist ein Rechtsbruch.“ Damit entstehe eine Art Klassensystem bei der Behindertenförderung. Dies sei ein „marktwirtschaftlicher Ansatz, der den Begriff ‚sozial‘ durch ‚neoliberal‘ ersetzt und die ‚Nützlichkeit‘ für die Gesellschaft zum Gradmesser erhebt.“ Die Bundesanstalt für Arbeit würde sich damit von ihrer sozialpolitischen Verantwortung verabschieden.

Doch nicht nur bei den geburtsbehinderten Menschen könnten Kürzungen drohen: Schon länger wird befürchtet, dass auch bei allen weiteren etwa 145.000 Behinderten gekürzt werden könnte, die momentan in speziellen Werktstätten beschäftigt sind. Die Träger hatten den Eindruck, dass die Bundesanstalt für Arbeit nur noch erfolgsorientiert fördern wollte – also nur noch jene behinderten und schwerbehinderten Menschen, die sich anschließend im ersten Arbeitsmarkt integrieren könnten. Zudem ist nicht klar, wie jene 20.000 Plätze finanziert werden sollen, die aufgrund der demografischen Entwicklung in den nächsten Jahren zusätzlich gebraucht werden. Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Karl Hermann Haack (SPD), hatte seinem Parteigenossen und BA-Chef Florian Gerster „Wortbruch“ vorgeworfen. Es sei vereinbart gewesen, die Förderung für Behinderte beizubehalten.

Die BA dementierte ihre Kürzungsabsichten. Dennoch bestätigte Vorstandsmitglied Heinrich Alt indirekt den Vorwurf. In einem Rundschreiben teilte er mit, dass die Arbeitsämter ihre Förderstrategie „überprüfen und darauf achten müssten, dass jeweils die Basis für eine nachfolgende Beschäftigung gelegt werde“.

Der sozialpolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Markus Kurth, kritisierte dies gegenüber der taz: „Ein Ausstieg der Arbeitsämter würde die weitere institutionelle Berufsförderung in Frage stellen.“ Er bewertete die Behindertenwerkstätten allerdings als „Notnagel“ und forderte die „volle Integration“. Kurth würde die Behinderten lieber gleich in echte Betriebe schicken – zusammen mit einem Betreuer, der sie dort unterstützt. So würde die künstliche Trennung zwischen speziellen Werkstätten und einem fernen ersten Arbeitsmarkt aufgehoben.

PAMO ROTH