„Wer ist hier starr?“

Eine Kürzungsorgie ist kein Reformkonzept, kritisiert Andrea Nahles. Schuld sei Hans Eichels Sparwut

taz: Auf dem Sonderparteitag, so hat Generalsekretär Scholz verkündet, kann man nur für oder gegen Schröder stimmen. Wollen Sie den Kanzler stürzen?

Andrea Nahles: Wir wollen keine Personalisierung und wir wollen keinen Kanzlersturz. Das ist eine Einschüchterungsstrategie der Parteispitze. Wir brauchen Ergänzungen an dem Reformprogramm und wir wollen in einen Dialog kommen. Ein Parteitag macht nur Sinn, wenn man auf ihm einen Konsens finden kann und nicht nur abstimmt.

Wo könnte eine Kompromisslinie verlaufen?

Wir wollen diese Reform, aber wir wollen, dass sie gerecht finanziert wird. Alle – nicht zuletzt die Vermögenden – müssen ihren Anteil übernehmen.

Und das heißt konkret?

Wenn man die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes kürzt, muss man im Gegenzug Jobs im ersten und zweiten Arbeitsmarkt garantieren. Dafür braucht man Geld. Das könnte man hereinbekommen, indem man den Spitzensteuersatz noch nicht zum nächsten Jahr absenkt.

Der Parteienforscher Franz Walter wirft der Linken vor, kein Gesamtkonzept zu haben.

Das Konzept ist ganz einfach. Die Bruttolöhne in Deutschland sind konkurrenzfähig, das zeigt der hohe Exportanteil. Aber die Lohnnebenkosten sind durch die deutsche Einheit extrem gestiegen. Diese Kosten müssen über Steuern finanziert werden. Das nenne ich ein Konzept. Eine Kürzungsorgie, wie sie Herr Schröder vorhat, ist kein Konzept.

Sie wollen hohe Steuern und die Beitragsbasis für die Sozialsysteme verbreitern. Das ist extrem unbeliebt.

Das stimmt nicht. Die Versicherung aller Erwerbstätigen steht bereits in Riesters Rentenkonzept und ist definitiv mehrheitsfähig in der Partei.

Warum kommen Sie dann nicht durch?

Das liegt an der Finanz- und Steuerpolitik von Hans Eichel. Die EU hat uns eine Rezession bescheinigt und damit ein Gegengesteuern befürwortet. Wir müssen aus dem Sparkorsett heraus, um mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Auch die Umstellung der Versicherungen kostet zunächst Geld. Hier sperrt sich Eichel. Er macht damit eine offensive Wachstumspolitik unmöglich. Wir fordern eine Kurskorrektur.

Geben Sie Herrn Eichel da nicht ein bisschen viel Macht? Die Wirtschaftsweisen etwa stützen solche Konzepte.

Da haben Sie Recht. Das sind Neoliberale, die an die reine Lehre glauben. Das ist eine europäische Spezialität. Wir haben hier keinen ausgewogenen makroökonomischen Diskurs. Das wird etwa in den USA ganz anders gehandhabt. Da wird nach ökonomischer Lage entschieden und eine konjunkturgerechte offensive Finanzpolitik gemacht. Hier gibt es dagegen, egal, wie die Krise ist, nur ein Konzept: sparen. Da frage ich Sie, was da flexibel und modern ist und was starr?

INTERVIEW: HEIDE OESTREICH