Hurra, hurra, die Schule wird gebaut

Dass Kinder bei der Gestaltung von Spielplätzen nach ihrer Meinung gefragt werden, kommt gelegentlich vor. In Bremen dürfen sie jetzt erstmals eine ganze Schule mitkonzipieren: Sie trainieren dabei nicht nur räumliches Wahrnehmen und gestalterische Phantasie, sondern auch die Suche nach befriedigenden Kompromissen. Denn allzu viel Geld steht für diesen Präzedenzfall nicht zur Verfügung

VON HENNING BLEYL

Der Geburtstagsthron war Eriks Idee. Der bunt-pompöse Sitz mit der Krone in der Rückenlehne steht derzeit noch im Flur der „Kinderschule“, die gerade nach Bremen-Hastedt umgezogen ist. Die Einrichtung ist Bremens „staatliche Modellschule“ für Grundschulkinder und hat den Umbau ihres neuen Domizils so gestaltet, wie es ihrem pädagogischen Selbstverständnis entspricht: als Beteiligungsmodell für Schüler, Eltern und Lehrer.

So wie der achtjährige Erik hat sich fast die Hälfte der derzeit 80 Schüler parallel zu anderen Schulprojekten freiwillig in den Planungsprozess eingebracht. Angeleitet von der Architektin Antje Waterholter haben sie über ein Jahr lang in festen Gruppen das Projekt vorangetrieben: die Baulichkeit vermessen, in einer „Kritikphase“ schlechte Raumsituationen am alten Standort in Schwachhausen dokumentiert, in der Phantasiephase Wünsche entwickelt und schließlich nach konkreten Umsetzungsmöglichkeiten und brauchbaren Kompromissen gesucht. Denn es ging ja nicht darum, ein pädagogisches Wolkenkuckucksheim auf der grünen Wiese zu errichten – sondern einen wuchtigen Bau von Anfang des 20. Jahrhunderts umzugestalten.

Dass der Flur mit Eriks Kinderthron so endlos lang ist, war beispielsweise nicht zu ändern. Aber Waterholter und die Schüler haben einen Farbleitsystem entwickelt, das die Gesamtstruktur sowohl freundlicher als auch übersichtlich macht – so dass auch die Fünf- und Sechsjährigen ihre Räume auf Anhieb finden. Natürlich gab es auch weitreichendere Ideen: permanenter Gummibärchenduft in den Gängen, fußballrunde Fenster, ein integriertes Schwimmbad. Einige Kinder haben eine Schule aus Schokolade konzipiert. Von dieser „weichen, leisen und leckeren Schule“ ist immerhin ein zu besonderen Anlässen sprudelnder Schokobrunnen Wirklichkeit geworden. Und statt flächendeckend beheizbarer Fußböden gibt es warmes Wasser im Sanitärtrakt – etwas für normale Schulen Unübliches.

Die Rückkoppelung an die Realität sei ein ebenso wichtiger Teil des Lernprozesses wie Kritik- und Phantasiephase, sagt Waterholter: „Ich war überrascht, wie unproblematisch das für die Schüler war.“ Entscheidend sei gewesen, nicht gleich zu sagen: „Das ist doch alles Quatsch.“ Flexibilität wurde auch bei strittigen Gestaltungsfragen trainiert: Während sich einige, vor allem Jungs, vehement für Graffiti an den Wänden stark machten, war das für andere als Raumgestaltung „zu heftig“. Die Lösung: Statt direkt an den Wänden prangen die Graffiti jetzt auf abnehmbaren Platten.

Rund ein Drittel des Investitionsvolumens von 1,4 Millionen Euro, mit der das Gesamtgebäude inklusive Schulmuseum und den letzten Klassen einer „normalen“, auslaufenden Grundschule saniert wurde, stand für die Kinderschule zur Verfügung. Davon mussten allerdings auch die komplette Elektrikerneuerung, Rohrleitungen und die feuerpolizeiliche Sicherung des 100 Jahre alten Gebäudes finanziert werden. „Die Unterstützung und Würdigung unseres Umbaus durch die Behörden hielt sich in Grenzen“, sagt Schulleiter Detlef Papke. Konkret: Der durch die Prozessmoderation entstehende Mehraufwand für die Architektin wurde allein vom Schulverein finanziert.

Es fragt sich natürlich, ob nicht die Erwachsenen am Ende doch die Entscheidungen bestimmten. Waterholter verneint – allerdings sei es völlig legitim zu differenzieren, welche Gruppe in welchen Fragen mitentscheiden soll. Während die Architektin viele gestalterische Fragen und Details ausschließlich mit den Kindern diskutierte, durften die Lehrer neben dem Ausbau „ihrer“ Bereiche auch das grundsätzliche Raumprogramm erarbeiten. Dass der hervorragend ausgestattete Werkraum nun so zentral liegt, ist dem handlungsorientierten Lernkonzept zu verdanken. Andere Besonderheiten erkennt man erst auf den zweiten Blick: Die sonst üblichen automatischen Türschließer wurden mit einer Freilaufmechanik ausgestattet, um das Konzept der offenen Türen technisch zu ermöglichen.

Verwirklichte Kinderideen? Manchmal sind es Kleinigkeiten: Das Bullauge in der Küchentür, hinter der jeden Tag auch Eltern stehen, die allseitige Zugänglichkeit der Arbeitsflächen – schließlich kochen auch die Kinder. Einig war sich man über das in allen Räumen dimmbare Licht, das sich flexibel auf die Tageshelligkeit abstimmen lässt. Oder über die zahlreichen Hochebenen. Die gibt es mittlerweile in einigen Grundschulen – doch für die Genehmigung so mancher kreativer Netzkonstruktion anstelle der üblichen Brüstungen hat Waterholter langwierige Auseinandersetzungen mit der zuständigen Unfallkasse geführt.

Oft sind es nicht nur die faktischen Baulichkeiten, sondern auch das Mobiliar und die Details der Nutzung, die durch den gemeinsamen Planungsprozess geprägt wurden. „Die Schüler kamen irgendwann darauf, den Mittagsraum in Bereiche für Schnell- und Langsamesser aufzuteilen“, sagt Waterholter. Während sich die Eiligen in der Nähe der Tür tummeln, haben die Gemütlichen ein Podest an der rückwärtigen Wand für sich.

Dass damit nebenbei auch eine Art Bühne entstand, ist nur ein Beispiel für die mögliche Multifunktionalität breit diskutierter Lösungsansätze. Der derzeit beliebteste Raum der Schule ist allerdings einer, den weder Kinder noch Eltern oder Lehrer geplant haben: ein großes, leeres Zimmer, das erst später umgebaut werden sollte. „Wir benötigen dafür mittlerweile einen Belegungsplan“, sagt Schulleiter Papke – derart viele Schüler-Initiativen von Hip-Hop bis Theater habe der Leerstand hervorgerufen.

Nun gibt es sicher andere, bundesweit bedeutsamere Beispiele für partizipatorische Schulbauprozesse: die Evangelische Gesamtschule in Gelsenkirchen-Bismarck oder die Wartburg-Grundschule in Münster, beides bemerkenswerte Neubauten. Für die umfassende und eigenverantwortliche Umgestaltung eines Altbaus ist das Bremer Beispiel jedoch ein Präzedenzfall. Und für Bremen selbst ist ein solcher Prozess in einem solchen Umfang ohnehin erstmalig. Franz Wester vom Landesinstitut für Schule hat ihn deswegen evaluiert. Das Ergebnis: Der Beteiligungsprozess habe die Erwartungen weitestgehend erfüllt.

„Ich bin sowohl von der hohen Zufriedenheit aller Beteiligten beeindruckt als auch von der Flexibilität, mit der sie sich das neue Gebäude angeeignet haben“, sagt Wester. Die Kinder seien begeistert gewesen, von einer „echten“ Architektin anhand realer Gestaltungsaufgaben Dinge wie räumliches Gestalten und Modellbau zu lernen.

Modellbau? Eines ärgert Erik schon: Dass in all dem Umbautrubel sein Thronmodell verloren ging. Dafür soll bald das „Kinder-Rednerpult“ für den Essraum fertig sein. Das Selbstgestalten hat sich schon jetzt verstetigt.