Politikfrei am 1. Mai

Das Anliegen eines gewaltfreien 1. Mai in Kreuzberg ist groß. Dieses Mal versucht es die Bezirksbürgermeisterin Cornelia Reinauer (PDS). Die linken Gruppen haben ganz andere Sorgen

von FELIX LEE

Was in den vergangenen 16 Jahren am 1. Mai in Kreuzberg nicht geklappt hat, will dieses Mal die Bezirksbürgermeisterin Cornelia Reinauer (PDS) schaffen: einen gewaltfreien Tag der Arbeit. Und sie hat einen Vorteil: Sie hat Geld. Ungefähr 100.000 Euro ist ihr ein friedlicher Tag der Arbeit in Kreuzberg wert. Diese Summe will sie aus dem bezirkseigenen Kulturetat mit Unterstützung des Senats aus dem Topf der „Gewaltprävention“ zur Verfügung stellen. Neun Bühnen zwischen Oranienplatz, Kottbusser Tor, Heinrich- und Mariannenplatz will sie darüber finanzieren. Für die Bühnen hat sie 50 Musiker engagiert – damit die Stimmung nicht überkocht.

Statt Straßenkampf am 1. Mai stellt sich Reinauer ein großes „Friedensfest gegen Krieg und Gewalt“ vor. Unterstützt wird sie von der Interessengemeinschaft Oranienstraße, einem Zusammenschluss der Gewerbetreibenden in Kreuzberg 36 und dem Türkischen Bund. Ausdrücklich betont sie den politischen Charakter ihrer Initiative. Das Motto: „MyDay“. Ihr Anliegen: „Dialog- und Kommunikationsfähigkeit“. Denn daran mangelte es ihrer Meinung nach in den letzten Jahren am 1. Mai. „Wir werben für ein demokratisches Miteinander mit Musik, Tanz, Film und Diskussionen auf unterschiedlichen Bühnen“, sagte Reinauer gestern bei der Vorstellung ihrer Initiative.

Damit knüpft sie am Konzept von FU-Professor Peter Grottian an, der letztes Jahr mit seinem Bündnis „Denk Mai neu“ versucht hatte, den Tag der Arbeit wieder mit politischen Inhalten zu füllen, und zwar gewaltfrei. Grottian scheiterte nicht zuletzt an mangelnder Unterstützung der Bewohner in Kreuzberg selbst. In diese Lücke möchte Reinauer springen. Der Wille war gut, die Umsetzung war aber nur halbherzig, bewertet Reinauer Grottians Versuch. Dieses Mal habe sie von vornherein auf die Anwohner und Gewerbetreibenden gesetzt.

Und dabei hat sie die politischen Gruppen vergessen. Diesen Anschein macht zumindest ihr Programm. Unter den ca. 50 Bühnenveranstaltungen ist nicht eine, die sich mit Neoliberalismus, Globalisierung, Sozialabbau oder dem Krieg beschäftigt. „Multikulturelles Miteinander“ nennen es die einen, „Kommerz“ die anderen.

Genau da setzt auch die Kritik der linken Gruppen an. „Letztes Jahr hatten wir Grottians Initiative noch unterstützt“, sagt Michael Kronewetter, Sprecher der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB), die letztes Jahr noch unter dem Namen Antifaschistische Aktion Berlin (AAB) die 1.-Mai-Demo um 18 Uhr organisiert hatte. Dieses Jahr sei es ein „hilfloser Versuch einer PDS-Politikerin“, den Protest gegen den rot-roten Senat mit Musik und Tanz zu befrieden. „Diese Veranstaltung ruft geradezu zum Widerstand auf“, meint Kronewetter.

Den Vorwurf der Befriedung weist Reinauer entschieden von sich. Ihr Anliegen sei es, den 1. Mai wieder allen Menschen zu öffnen. Denn viele hätten in den letzten Jahren den Kiez wegen der gewaltsamen Ausschreitungen verlassen. Zwar könne sie gewalttätige Ausschreitungen auch dieses Jahr nicht ausschließen, doch sie bewertet ihr Angebot als einen Schritt aus der Gewaltspirale: „Hinterher werden wir schlauer sein.“

Vielleicht entzündet sich der Konflikt im Vorfeld des 1. Mai dieses Jahr auch gar nicht an einem „bürgerlichen Befriedungsbündnis“, wie linksradikale Gruppen Grottians Initiative letztes Jahr noch beschimpft hatten. Nach der Spaltung der AAB hat sich die eine Hälfte, die ALB, mit den orthodoxen Gruppen zu einer gemeinsamen Demonstration um 15 Uhr in Kreuzberg zusammengeschlossen, während die andere Hälfte, die seit kurzem unter dem Namen „Kritik & Praxis Berlin“ (KPB) fungiert, an der 18-Uhr-Demo am Rosa-Luxemburg-Platz festhält. Auch wenn die beteiligten Organisatoren offiziell den Streit bestreiten. Zumindest aus Kreisen der Polizei kommt die Befürchtung, dass es wegen innerlinker Auseinandersetzungen in der Palästinafrage und eines geplanten „Israel-Solidaritäts-Blocks“ bei der 18-Uhr-Demo zu Schlägereien kommen könnte. Deswegen sei dieser Demonstrationszug auch noch nicht genehmigt.