Kinderbericht geheim

Die Stadt Essen verschiebt Veröffentlichung des Kinderberichts. Bürgermeister Leymann-Kurtz vermutet: „Da wird noch was glattgebügelt“

„Die Stadt Essen muss sich nicht schämen. Sie ist nicht Schuld an der steigenden Kinderarmut“

VON NATALIE WIESMANN

Gestern sollte der Kinderbericht der Stadt Essen offiziell erscheinen. Was vorher bereits bekannt war: Er hat nur traurige Untersuchungsergebnisse zu bieten. Die Sozialhilfedichte bei den unter Siebenjährigen ist in Essen am dichtesten in ganz NRW. Und der soziale Graben zwischen Nord und Süd in Essen klafft immer weiter auseinander.

Im Gegensatz zur Stadt, die mit den Zahlen vor der Veröffentlichung nicht herausrücken wollte, hatte sich der CDU-Ratsherr und Jugendpolitiker Thomas Kufen bereits im Januar öffentlich geäußert. Das Ergebnis sei deprimierend. Er forderte, dass seine Fraktion das Jahr 2004 zum Jahr der Kinder- und Jugendpolitik mache.

Das beim Verfassen des Berichtes federführende Kinderbüro hatte gestern zur Pressekonferenz geladen. Zwei Stunden vorher platzte der Veröffentlichungtermin. Der Verwaltungsvorstand, bestehend aus dem Oberbürgermeister und den Dezernenten, konnte die Vorlage nicht absegnen. „Es gab noch ein paar verwaltungstechnische Probleme“, entschuldigt sich Jürgen Schröer, Leiter des Kinderbüros.

„Das soll wohl noch was zurechtgefeilt werden“, vermutet dagegen Bürgermeister Peter Leymann-Kurtz. „Der Kinderbericht ist ein heikles Politikum“, meint der Parteilose, der für die Grünen in der Fraktion sitzt.

Die Probleme der Kinderarmut seien im Rathaus längst bekannt, die Stadtspitze fasse das Thema jedoch mit Samthandschuhen an. „Man hat Angst in der Wahlkampfzeit mit solchen Ergebnissen an die Öffentlichkeit zu gehen“. Er verstehe die defensive Vorgehensweise nicht. Die Stadt habe sich nichts vorzuwerfen, in den anderen Ruhrgebietsstädten sehe die Lage der Kinder nicht besser aus. Außerdem sei der Anstieg der Sozialhilfeempfänger auf verfehlte Bundespolitik zurückzuführen. „Sozialhilfe ist vor allem ein Problem der Erwerbslosigkeit.“

Die Kinderbeaufragte des Rates, Ute Baukelmann (CDU) scheint den Grund für die Verschleppung des Kinderberichts zu wissen: „Man hat die libanesischen Flüchtlingskinder nicht aus der Statistik herausgenommen“. Diese beziehen – weil sie nicht asylberechtigt sondern geduldet sind – Sozialhilfe. Und in anderen Städten tauchten geduldete Flüchtlinge nicht in der allgemeinen Armutsstatistik auf.

„Das ist an den Haaren herbeigezogen“, sagt Gudrun Hock, Sozialdezernentin der Stadt Essen. Die Kinderbeauftragte habe überhaupt nicht an der Sitzung teilgenommen und die libanesischen Kinder seien nicht Thema gewesen. Der Oberbürgermeister hätte lediglich noch ein paar „Nachrecherchen“ eingefordert. Es sei beispielsweise im Bericht zu wenig die Rede gewesen von den Maßnahmen, die die Stadt zugunsten der Kinder und Jugendlichen in der Zwischenzeit ergriffen hätte.