Korso gegen Jobangst

Hunderte Gelsenkirchener Arbeiter protestieren gegen Jobabbau. Gutachten soll Firma Vaillant umstimmen

GELSENKIRCHEN taz ■ Sie wollen keine „Kunden“ der Bundesagentur für Arbeit werden. Dennoch haben mehrere Hundert der rund 870 Beschäftigten der Dosenfabrik Rexam, des Heizgeräteherstellers Vaillant und des Automobilzulieferers TRW Automotive der „Agentur für Arbeit“ in Gelsenkirchen schon mal einen Besuch abgestattet. Im ehemaligen Arbeitsamt informierten sie sich über ihre Zukunftschancen – und Zukunftsrisiken. Während der Rexam-Betriebsrat das Dosenpfand für den drohenden Verlust von Arbeitsplätzen verantwortlich macht, fürchtet man bei Vaillant und TRW die Verlagerung der Arbeitsplätze nach Osteuropa.

Nach Polizeiangaben sind rund 300 Autos und dutzende von Motorrädern hupend durch Gelsenkirchen gerollt. „Nach der Menschenkette vor zwei Wochen wollen wir nochmals deutlich machen, was auf die Stadt zukommt“, begründet der IG Metall-Bevollmächtigte Alfred Schleu die Aktion. Agentur-Direktor Horst Buchholz habe er nicht lange bitten müssen, sich den Fragen der von Arbeitslosigkeit bedrohten Menschen zu stellen. Zehn Fragen rund um Jobchancen, Hartz-Gesetze und Arbeitslosenquote hat Vaillant-Betriebsrätin Yasemin Rosenau mitgebracht.

Viel Hoffnung kann Agentur-Chef Buchholz nicht machen. Er bestätigt, was alle längst wissen: Dass Unternehmen am liebsten olympiareife, qualifizierte Belegschaften mit einem Durchschnittsalter von 25 Jahren und fünfzehnjähriger Berufserfahrung hätten, und sich in Gelsenkirchen im Schnitt 46 Arbeitslose um eine freie Stelle bewerben. Ganz schlechte Karten hätten ausländische BewerberInnen. Deren mangelnde Qualifikation führe zu einer Arbeitslosenquote von über 30 Prozent. Auch die Gesamtlage in der Stadt ist trostlos. „Wenn jetzt die 870 Arbeitsplätze verloren gehen, haben wir mehr als 20 Prozent Arbeitslosigkeit im Stadtgebiet“, sagt der Agentur-Direktor. Dabei habe man noch in den letzten Jahren bei Vaillant und TRW in anderen Betrieben arbeitslos Gewordene unterbringen können. „Es ist rund zehn Jahre her, da sollte für Vaillant noch ein Gleisanschluss gelegt werden“, erinnert sich Buchholz. Als er die Folgen der Hartz-Gesetze erläutert, regt sich kaum Unmut. Die KundgebungsteilnehmerInnen scheinen sich damit abgefunden zu haben.

Lauter wird es als Rexam-Betriebsrat Wolfgang Gildner die Tatenlosigkeit der Politik beklagt. „Schwätzer“ hallt es dem örtlichen SPD-Bundestagsabgeordneten Joachim Poß entgegen, als er zum Dialog einlädt. Er wolle keine falschen Hoffnungen machen, verteidigt sich Sozialdemokrat Poß. Hoffnungen setzt der Vaillant-Betriebsrat in das beim renommierten Wirtschaftsprofessor Heinz-Josef Bontrup in Auftrag gegebene Gutachten. Der Ökonom soll belegen, dass die Vaillant-Pläne auf falschen Annahmen beruhen. In den nächsten Tagen werde das Gutachten vorgestellt, kündigt Yasemin Rosenau an. Doch Alfred Schleu ist skeptisch, dass das die Vaillant-Gesellschafter umstimmen könne: „Die Geschäftsführung hält doch alles von den Gesellschaftern fern, blockt sie ab.“ Dazu Vaillant-Pressesprecher Ebrulf Zuber: „Ob der Gutachter selbst die Möglichkeit haben wird, seine Zahlen dem Gesellschafterausschuss vorzustellen, wird man sehen.“ Selbstverständlich unterrichte die Geschäftsführung laufend die Gesellschafter, hätte Bontrup alle erforderlichen Daten zur Verfügung gestellt und sei bei fast allen Gesprächen dabei gewesen. Mehrheitlich habe der Aufsichtsrat aber beschlossen, das Unternehmenskonzept nicht auszusetzen, sondern weiter zu verfolgen.

Keine guten Nachrichten für die in der Wandgerätefertigung Beschäftigten. Ob und wie die 95 Arbeitsplätze im Call Center, im Kundendienst und in der Ersatzteilfertigung ausgebaut würden, werde im März bekannt gegeben, so Zuber. MANFRED WIECZOREK