Signale, Steine und Symbole

Am 29. Februar wählt Hamburg. Über die wichtigsten Themen lässt die taz Experten mit Politikern debattieren. Heute im Streitgespräch über Innere Sicherheit: Rechtsanwalt Manfred Getzmann und Schatten-Innensenator Michael Neumann (SPD)

„Ich habe unter dem Rechts-Senat ein Verlassen der Rechtsstaatlichkeit festgestellt“: Manfred Getzmann„Innenpolitik fängt in der Kita an und in der Schule, und damit dort auch die Prävention von Kriminalität“: Michael Neumann

Moderation: sven-michael veit

taz: Haben Sie die Hoffnung, Herr Getzmann, dass ein Innensenator Neumann mit Bauwagen und Demonstrationsrecht liberaler umgeht, als das unter Schwarz-Schill der Fall war und ist?

Manfred Getzmann: Die Hoffnung habe ich schon, dass sich in diesen Fragen Rationalität und politische Vernunft durchsetzen.

taz: Ist diese Einschätzung berechtigt, Herr Neumann?

Michael Neumann: Gesetze werden konsequent angewendet werden, das kann keine Frage sein. Ich bin aber der Auffassung, dass das Leben in Bauwagen in dieser Stadt möglich sein muss. Es gibt auch jetzt Bauwagenplätze, die gar nicht auffallen, weil sie integriert sind, die Auflagen erfüllen und von den Anwohnern akzeptiert werden. Man muss das Wohnen in Bauwagen nicht fördern wie den sozialen Wohnungsbau, aber das ist kein zentrales Problem unserer Stadt.

Getzmann: Wenn ich das so interpretieren darf, dass die Legalisierung von Bauwagen – das sind ja nur etwa 160 Menschen in Hamburg, die kleinste aller Minderheiten ...

Neumann: ... Lehrerinnen mit Kopftuch gibt es noch weniger, nämlich nur eine.

Getzmann: Ja, auch so ein aufgeblasenes Symbol ...

Neumann: Ich will damit nur auf die Verhältnisse hinweisen: Es gibt doch wirklich ganz andere Probleme in dieser Stadt.

Getzmann: Also ist unter einem Senator Neumann die Legalisierung von Bauwagenplätzen möglich? Das wäre doch eine konkrete Aussage.

Neumann: Das habe ich schon auf dem SPD-Parteitag vor eineinhalb Jahren gesagt. Wenn sie sich an Recht und Gesetz halten, gibt es eine klare Perspektive.

taz: Seit den Bambule-Demos wurde heftig über Versammlungsrecht und Polizeieinsätze gestritten. Hätte ein Innensenator Neumann anders gehandelt als der Innensenator Schill?

Neumann: Das Demonstrationsrecht ist in der Verfassung verankert, und es ist Aufgabe von Innenbehörde und Polizei, dieses zu gewährleisten. Und zwar unabhängig von den Meinungen, um die es geht. Ich persönlich finde es unerträglich, wenn Neonazis wie vor zwei Wochen durch Barmbek marschieren, aber Behörde und Polizei haben nicht die Gesinnung zu beurteilen, sondern dafür zu sorgen, dass die Demonstration politischer Meinungen friedlich und geordnet abläuft.

Getzmann: Was in diesem Fall nicht so war, weil die Polizei ohne Anlass gegen die Gegendemonstranten vorgegangen ist. Da wurde ganz bewusst versucht, Demonstranten zusammenzuschlagen. Auch zum Beispiel bei der Schülerdemo gegen den Irak-Krieg im März 2003. Auch das hatte keine Folgen für die Verantwortlichen.

Neumann: Da gab es eine Reihe von Vorwürfen, auch in den Medien. Wir als Opposition haben das parlamentarisch untersucht, stundenlang im Innenausschuss Herrn Schill zur Rede gestellt ...

Getzmann: Da ist doch nichts bei rausgekommen ...

Neumann: Unsere Fragen sind beantwortet worden. Es gab nur zwei oder drei Anzeigen gegen die Polizei, vieles war nur Hörensagen. Ich gehe davon aus, dass unsere Hamburger Polizei sich grundsätzlich rechtsstaatlich verhält. Im Übrigen gab es erhebliche Straftaten und Gewalt gegen Polizisten. Chaoten haben eine friedliche Demo junger Menschen missbraucht. Wenn Steine fliegen, muss die Polizei einschreiten. Gewalt akzeptiere ich nicht.

Getzmann: Ich habe unter dem Rechts-Senat ein Verlassen der Rechtsstaatlichkeit festgestellt. Das ist ein Problem der politischen Führung, das ist aber auch ein Problem falscher Signale von früheren SPD-Innensenatoren, wie zum Beispiel Brechmitteleinsätze. Sowas vermittelt doch, die Polizei darf alles, auch wenn dabei mal jemand hopsgeht. Eine solche Politik, die menschenverachtend ist, das muss aufhören.

Neumann: Ich sage deutlich, dass Brechmitteleinsätze ebenso wie geschlossene Heime für die SPD nicht verhandelbar sind. Ich sage aber genauso deutlich, dass die politischen Vorgaben des von-Beust-Senates an die Polizei – Wo gehobelt wird, fallen eben auch Späne – falsch sind.

Getzmann: Das ist doch eine Eskalationsstrategie, um zu versuchen, mit Repression Konflikte wie Bambule totzudrücken. Sowas funktioniert nicht ...

Neumann: Unsere Polizei ist für die vermeintliche Lösung gesellschaftlicher und politischer Probleme missbraucht worden ist. Das musste scheitern.

Getzmann: Ein Innensenator Neumann wird also die Polizei führen und nicht umgekehrt?

Neumann: Dazu ist ein Senator da. Ich vertraue den Polizisten in dieser Stadt, ich vertraue aber auch denjenigen, die friedlich von ihrem Versammlungsrecht Gebrauch machen.

Getzmann: Sie sagten vorhin, geschlossene Heime seien für Sie nicht verhandelbar. Ich finde, Jugendkriminalität begegnet man eher mit einer guten Sozial-, Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik als mit Wegsperren.

Neumann: Sie haben die Kitas vergessen, denn dort beginnt gesellschaftliche und soziale Integration, übrigens auch für Zuwanderer-Kinder. Innenpolitik fängt in der Kita an und in der Schule, und damit dort auch die Prävention von Kriminalität. Polizei und Justiz stehen nur am Ende einer falschen Entwicklung, Repression kann nur das letzte Mittel sein.

taz: Welches sind nach Ihrem Verständnis, Herr Neumann, die Grundsätze sozialdemokratischer Innenpolitik?

Neumann: Augenmaß, Seriosität, Sachlichkeit, Effizienz und Konsequenz.

taz: Akzeptabel, Herr Getzmann?

Getzmann: Ich vermisse den Begriff Menschlichkeit.

Neumann: Das ist doch selbstverständlich.

Getzmann: Auf Worte von SPD-Innensenatoren gebe ich nicht mehr viel. Ich will Taten sehen. Daran würde ich einen Innensenator Neumann messen.

taz: Dann treffen wir uns in einem Jahr wieder?

Neumann: Gerne.

Getzmann: Wenn Herr Neumann dann Innensenator ist, ja.