Masse macht Klasse

Die Vorstellungen von deutschen Eliteuniversitäten werden immer präziser. Was aber aus der Zentralstelle für Studienplätze und dem Recht auf Bildung wird, bleibt bislang vage. Wer 40 Prozent Studierende haben will, muss das Zusammenspiel von Leuchttürmen und akademischen Flachbauten klären

„Die Förderung von Eliteuniversitäten darf nicht auf Kosten der Breite gehen“

VON CHRISTIAN FÜLLER

So geht der Traum von einer Universität. Vom ersten Tag an werden Studierende nicht mit der Lektüre von Kompendien beschwert, sondern beginnen gleich im Labor. Forschung zuerst. Erstsemester der Mikrobiologie etwa, gerade vom Gymnasium kommend, beobachten Escherichia-coli-Bakterien. Im sechsten Semester werden sie dann echte Forscher, indem sie in eine research school eintreten: Sie überspringen das Diplom und werden, Teilzeit in einer Max-Planck-Gruppe, direkt zur Promotion geführt.

Das ist der schöne Traum von einer neuen, jungen Universität, den Humboldt schon vor 200 Jahren träumte. Und auch jetzt wird an diesem Traum gebastelt. Denn die Idee von Eliteuniversitäten ist wieder da. Die besten Gelehrten sollen sich die neugierigsten Studenten auswählen – um sie möglichst früh an die problemorientierte Forschung heranzuführen.

Auf den ersten Blick ist die Idee bezaubernd. Der Bund sattelt auf die ungenügende Finanzierung der Länder 250 Millionen Euro pro Jahr für eine Hand voll Spitzenunis auf. Die können mit dem Geld mehr und bessere Profs anheuern – und die sich wiederum wenige und exzellente Studierende aussuchen.

Auf den zweiten Blick könnte sich das Szenario für manche zu einem bösen Traum entwickeln. Denn das Zusammenspiel von Leuchttürmen der Wissenschaft und einer eher flachen Hochschullandschaft ist nicht geklärt. Fast alle Uni-Rektoren bekennen sich zur Renaissance des Elitebegriffs. Die Hingabe zur Ausbildung der akademischen Breite in den Flachbauten der Wissenschaft dagegen fällt reserviert aus. „Irgendwann sollen das dann wohl 70 Prozent sein“, kommentierte etwa Deutschlands Oberrektor Peter Gaehtgens die gesteigerte Akademisierung gegenüber der taz. „Aber das ist doch dann keine Elite mehr.“ Zu Deutsch heißt das: Klasse find ich gut, die Masse kann mir gestohlen bleiben.

Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz stellt nicht allein das Ziel der Bundesregierung in Frage, künftig 40 Prozent eines Jahrgangs an die Hochschulen zu führen. Er entwickelt ausschließlich Perspektiven, wie die Unis sich Elitestudis herauspicken sollen. Im Mai etwa will er eine Blaupause zur Selbstauswahl von Studierenden vorlegen. Die Fortexistenz der Zentralstelle zur Vergabe von Studienplätzen (ZVS) aber, so erläutert der Mediziner Gaehtgens spitz, „ist für mich ein Zwischenstadium“.

Man mag zur Dortmunder Zentralstelle stehen, wie man mag. Aber die Behörde, gern als bürokratisches Monster geschmäht, macht in Zeiten der Unterfinanzierung Sinn. Sie hält für Studierende die Tore der Universitäten geöffnet – gerade in den Zeiten des Mangels.

Mängelverwaltung herrscht an deutschen Unis seit 1977. Mit dem damaligen Öffnungsbeschluss explodierte die Zahl der Studenten förmlich. Einen signifikanten Zuwachs an Lehrenden aber gab es nur noch in der Medizin. Ohne ein einigermaßen sinnvolles Verteilungssystem wie die ZVS ist Artikel 12 der Verfassung, die Freiheit der Berufswahl, nicht zu sichern. Das gilt natürlich auch dann, wenn die Hochschulen sich ihre Studenten zu 100 Prozent aussuchen können. Wie wird der Rest der Bewerber verteilt, der ja nicht doof ist, sondern schlicht nicht Prof werden will oder kein Held im Assessment-Center ist?

Präzise Antworten auf die Studierendenverteilung in Zeiten der Eliteunis hat bisher keiner gegeben. „40 Prozent Studierendenanteil“, fordert Bildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD), „das ist die Zielmarke, die wir in Deutschland erreichen müssen, sonst bleiben wir hinter anderen Industrienationen zurück.“ Dann müsse, fährt sie fort, die ZVS „nicht mehr Zuweisungsstelle sein, sondern Informationsstelle“. Nur: Was heißt das?

Die Antwort darauf gibt es nicht als Spitzenmeldung in der Tagesschau, sondern als Hintergrundinformation. Eine neue Zentralstelle könnte eine Clearing-Einrichtung sein. Das heißt, die ZVS würde dann Nachrückverfahren für abgelehnte Studienbewerber organisieren. „Das setzt voraus, dass die Hochschulen früh ihre Auswahl treffen“, erläutert die Generalsekretärin der Rektorenkonferenz, Christiane Ebel-Gabriel, „und die Hochschulen später die von der ZVS entsandten Nachrücker akzeptieren.“

Wenn die Unis das allerdings nicht tun, dann ist der schöne Elite-Traum schnell ausgeträumt. „Die Förderung von Eliteunis darf nicht auf Kosten der Breite gehen“, appelliert etwa der Vorsitzende des Wissenschaftsrats Karl Max Einhäupl. „Wir müssen unser gutes Niveau an lehrorientierten Unis und guten Fachhochschulen unbedingt halten.“

Masse macht Klasse, heißt Einhäupls Dogma. Wie berechtigt seine Ahnungen sind, zeigen diverse Bundesländer. Während die Bundesregierung Leuchttürme aufbauen will, gehen sie mit der Axt an ihre Fachhochschulen (siehe unten). Niedersachsens Wissenschaftsminister Lutz Stratmann (CDU) sandte gestern obendrein ominöse Drohungen aus. „Ich bin sicher, dass es anders kommt, als sie es sich vorstellt“, sagte er zur Elite-Initiative Edelgard Bulmahns. Kündigt der Mann, der gerade 40 Millionen Euro aus seiner Hochschulen herausgepresst hat, damit etwa weitere Kürzungen an – für den Fall, dass sich der Bund in die Ländersache Hochschulen einmischt?

Aber selbst für den Fall, dass die chronische Unterfinanzierung des Hochschulsystems überwunden wird und die Zentralstelle für Studienplätze eine neue Funktion erhält: Das Nebeneinander von elitären Research-Seminaren und eher beruflich orientieren Kursen für Stino-Studis ist noch gänzlich ungeklärt. Würde, zum Beispiel, die Uni Heidelberg mit einigen Fakultäten in die Eliteförderung kommen, mit anderen aber nicht, ergäbe sich folgendes Bild: Es gibt dann kleine, handverlesene Grüppchen, in denen ein Professor für 8 Eleven da ist; und nebenan drängeln sich 40 Studierende, um einen Hochschullehrer richtig verstehen zu können. 1:40 ist die Betreuungsrelation Professor : StudentIn in Deutschland, an Unis wie Bonn oder Köln beträgt sie gar 1 : 70 bzw. 1 : 120.

Bislang lässt sich an diesen Zahlen schon rein juristisch nicht rütteln, weil die Kapazitätsverordnung penibel festlegt, um wie viele StudentInnen sich ein Professor in Deutschland kümmern muss. Noch ist diese Geheimwissenschaft nicht außer Kraft gesetzt.

Den Traum übrigens einer Uni, die Erstsemester ab dem 1. Semester ins Praktikumslabor nimmt und sie ab dem 6. Semester in den Research-Express zur Promotion setzt, gibt es schon. Am Institut für Mikrobiologie der Uni Göttingen. Dort aber, sagt eine Mitarbeiterin, „wird vorher richtig gesiebt. Die Ausschreibungen für die Research-Schools gehen um die Welt.“