paris, hauptstadt des 19. Jahrhunderts: brassaï im kunstmuseum wolfsburg

Die Fotografien, die er Anfang der Dreißigerjahre machte – überraschend tiefenscharfe und präzise Ansichten der Pariser Architektur und Szenen des Pariser Nachtlebens – waren Bilder von Bildern. Denn Brassaï, wie sich der 1899 geborene Gyula Halász nach seiner ungarischen Heimatstadt Brasov nannte, liebte Marcel Prousts „Suche nach der verlorenen Zeit“ genauso wie Eugène Sues „Geheimnisse von Paris“. Brassaï sah die Stadt im Fokus seiner Lektüre. Er liebte die Hauptstadt des 19. Jahrhunderts, die er, ausgerüstet mit Kamera, Stativ, einem monströsen Magnesium-Blitz und einem Assistenten, auf seinen Streifzügen durch die Stadt des 20. Jahrhunderts wieder zu finden hoffte. Obwohl er als fotografischer Autodidakt – als Korrespondent für deutschsprachige Zeitungen – begann, seine Texte mit Bildern zu ergänzen, fehlt ihnen jegliches journalistisches Moment. Brassaï, der von 1920 bis 1922 in Berlin Kunst studiert hatte, war kein Fotoreporter des besonderen Augenblicks, kein Fotojournalist mit der neuen, wendigen Kleinbildkamera. Brassaï blieb auch hier dem 19. Jahrhundert treu und arrangierte seine Aufnahmen. Damit aber, und das ist nun in einer großen Ausstellung des Kunstmuseums Wolfsburg zu entdecken, war er der Fotograf, der schon weit ans Ende des 20. Jahrhunderts vorausgriff. Seine Bildserien und -sequenzen, etwa von den Graffiti an den Pariser Hauswänden, aber auch dem Bordell „Chez Suzy“, sind aus der Perspektive der konzeptuellen Dokumentation und der inszenierten Fotografie besser zu verstehen als aus der Perspektive der Dreißigerjahre. Allerdings war auch der Surrealismus, dem Brassaï mit seinen Akt- und Sachaufnahmen für die Zeitschrift Minotaure zuarbeitete, eine weitere Quelle seines Stils. WBG

Bis 21. März, Katalog (Verlag Christian Brandstätter, Wien) 42 €