Die Kunst des Scheiterns

Nürnberg und Mainz trennen sich im Zweitligaspitzenspiel 2:2. Die Nullfünfer verpassen damit mal wieder den Sprung auf einen Aufstiegsplatz – und verharren auf ihrer Lieblingsposition: Rang vier

AUS NÜRNBERG TOBIAS SCHÄCHTER

Es heißt: Scheitern sei schlecht. Auch wenn es schwer fällt in Zeiten wie diesen – vergessen Sie diesen Quatsch. Scheitern ist geil! Scheitern ist gut! Scheitern ist die Chance! Zumindest bei Mainz 05. „Wir sind zufrieden heute!“ Jürgen Klopp, Trainer des Fußball-Zweitligisten, Magier des lustvollen Scheiterns, Trotzklopp und positiv denkend bis zum Erbrechen, sagt solche Sätze nach Spielen wie dem 2:2 am Montag beim 1. FC Nürnberg. Zum ungefähr elftausendsten Mal scheiterte Mainz 05 da bei dem Versuch, den Sprung auf einen Aufstiegsplatz zu schaffen, diesmal ging es trotz einer 2:1-Führung sowie roter Karte für den Nürnberger Paulus eine halbe Stunde vor Schluss schief. Klaglos noch einen eingefangen haben sie sich, Mintal traf, und am Ende fast noch verloren. Na und? Scheiß drauf. Immerhin erhielten sich die Nullfünfer so ihren Lieblingsrang: Platz vier.

Nullfünf verdankt diesem alles. Vor allem: bundesweite Sympathien, eine Zuschauerexplosion am Bruchweg – und nicht zuletzt den Glauben an sich selbst. Dreimal in allerletzter Sekunde am Bundesligaaufstieg scheiternd und doch nie daran zerbrechend, stehen die Mainzer in Zeiten der Agonie für Hoffnung – auch wenn es eigentlich keine gibt. Ihre Auftritte sind kleine Dramen, meistens keine besonders guten. Die Helden sind alles andere als perfekt, sondern einfache Fußballer ohne erstaunliches Talent, die immer kurz vorm großen Ziel doch – scheitern. So wie am Montag: Das 0:1 fiel schon nach 3 Minuten durch Krzynowek. Kläglich war alles, was sie anpackten, und dann waren sie doch plötzlich da: Gerbers Ausgleich vor der Pause, Dworraks Führung kurz danach, rote Karte für Nürnberg – und dann sehen sie sich doch wieder hilflos einer für sie unglücklichen Wendung gegenüber.

„Alles ist halt grenzwertig knapp“, meinte Jürgen Klopp lächelnd nach seinem 100. Spiel als Trainer für Mainz 05. Eigentlich angetreten als Übergangslösung, ist der Württemberger inzwischen einer der begehrtesten Trainer in der Branche. Auch wenn er gar kein Fußballlehrer ist. Der DFB will dem Diplomsportlehrer das Studium in Köln ersparen. „Es wird an einer Lösung gearbeitet“, sagt 05-Manager Christian Heidel, der zugibt, schon 13 Jahre von der Bundesliga zu träumen. Die finanzielle Lage des Kleinstklubs nennt Heidel „total angespannt“. Übernommen habe man sich mit dem Bau des neuen Stadions aber nicht, versichert der Autohändler. Und dennoch: Sie sind diesmal zum Aufstieg verdammt. Sechs, sieben Jahre müssen sie die rund sieben selbst investierten Millionen als Schulden mit sich rumtragen. Der Zehn-Millionen-Etat ist in Liga zwei nicht mehr zu steigern. Gelingt der Aufstieg nicht, muss im nächsten Jahr gespart werden. Und überhaupt: Wie lange bleibt Klopp noch? „Bis Sommer auf jeden Fall“, sagt der Trainer. Mainz ohne Klopp?

Das ist in etwa wie Nürnberg ohne Michael A. Roth: irgendwie schwer vorstellbar. Nur eine Privatbürgschaft des reichen Teppichhändlers sicherte die Zweitligalizenz. Wer weiß, vielleicht hätte der klein gewachsene Roth den groß gewachsenen Klopp schon längst entlassen, bei so viel Misserfolg. Erfahrung im Trainerentlassen hat der Präsident des 1. FC Nürnberg jedenfalls genügend: 13 Übungsleiter feuerte er in insgesamt 12 Amtsjahren. Neulich jedoch gab sich der Club-Napoleon geläutert. „Die ganzen Trainerentlassungen bringen nichts“, konstatierte er in einem Interview.

Wolfgang Wolf, dem Trainer des Clubs, sei geraten, auf das Wort von Roth nicht allzu viel zu geben. Wolf, dessen Mannschaft spielt wie ihr Trainer einst als rechts verteidigender Berserker des 1. FC Kaiserslautern – bar jeder Eleganz –, steht seit Januar ein Sportdirektor zur Seite. Martin Bader ist ein wie aus dem Ei gepellter, studierter Sportökonom. Der 36-Jährige aus Pfullingen, der zweiter Mann hinter Dieter Hoeneß bei Hertha BSC war, will mit dem Club eine „ähnliche Erfolgsstory“ schreiben wie mit der Hertha: also aus der zweiten Liga in die Champions League. „Hier gibt’s richtig viel zu tun“, weiß Bader. Er weiß auch: In Nürnberg liegt im Scheitern keine Chance.