Suche nach Zukunft

In Nassirija beraten frühere Oppositionelle, US-Vertreter und Stammeschefs über Iraks Zukunft

aus Berlin INGA ROGG

An Symbolen hat es nicht gemangelt. In Ur bei Nassirija, in der Nähe des Geburtsorts des biblischen Stammvaters Abraham, haben sich die Vertreter der US-Regierung, ehemalige irakische Oppositionelle, religiöse Würdenträger und Stammeschefs getroffen. Aber um ein Haar wäre das Treffen an einem aufziehenden Sandsturm gescheitert. Geschützt durch ein Großaufgebot an US-Marines verabschiedeten die Teilnehmer einen 13-Punkte-Katalog, der als Leitfaden für die Neuordnung des Irak nach 35 Jahren der Diktatur dienen soll.

Neben Rechtsstaatlichkeit und Demokratie soll der künftige Irak eine föderale Staatsordnung erhalten. Die bislang herrschende Baath-Partei soll aufgelöst und ihr Einfluss auf die Gesellschaft eliminiert werden.

Hatte sich die Opposition auf ihren vorangegangenen Konferenzen in London und Salahaddin auf den Islam als Staatsreligion geeinigt, so blieb diese Frage jetzt offen. Die Teilnehmer sprachen über die Rolle der Religion im Staat, heißt es in der Grundsatzerklärung lediglich. Ausdrücklich hervorgehoben wird hingegen, dass der „Rolle der Frauen“ beim Wiederaufbau des Landes Rechnung zu tragen sei. Darüber hinaus verpflichten sich die Teilnehmer auf eine Zusammenarbeit mit der von den USA und Großbritannien angeführten Kriegskoalition. In den Prozess der Umgestaltung sollen alle nationalen und politischen Gruppen einbezogen werden.

Das Vorhaben könnte anspruchsvoller kaum sein. Welche Schwierigkeiten dabei auftreten können, zeigte sich außerhalb des hermetisch abgeriegelten Versammlungsorts. Mehrere tausend Schiiten demonstrierten gegen die Besetzung des Zweistromlandes. Wie der Korrespondent der Washington Post berichtet, hielt der erst am Montag aus dem Exil zurückgekehrte Scheich Mohammed Bakr Nasri vor 2.000 Anhängern eine flammende Rede, in der er den sofortigen Truppenabzug der Amerikaner und die umgehende Einsetzung einer irakischen Regierung forderte. Das 71-jährige Oberhaupt der schiitischen Dawa-Partei, aber auch Anhänger des „Hohen Rats für die Islamische Revolution im Irak“ (Sciri) und der Kommunistischen Partei sowie lokale Würdenträger beklagten sich, von der Versammlung ausgeschlossen worden zu sein.

Tatsächlich hatten aber der Hohe Rat und die ehemals auch unter den Schiiten starke Kommunistische Partei im Vorfeld eine Kooperation mit den Amerikanern abgelehnt. Welches Gewicht diese und andere Parteien haben, die für sich eine große Anhängerschaft reklamieren, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Dann sollen nämlich weitere Treffen auf regionaler Ebene abgehalten werden. Aus ihnen soll sich schließlich eine Übergangsregierung herausschälen.

Damit stehen die bisherigen Oppositionellen vor der Aufgabe, unter der Bevölkerung Zustimmung für ihre Vorstellungen von der Zukunft des Zweistromlands zu gewinnen. Das könnte zugleich den Prozess der Verständigung innerhalb der infolge der Repression zwischen den Ethnien und religiösen Gruppen gespaltenen Gesellschaft ermöglichen. Nicht zuletzt Ahmed Chalabi vom Irakischen Nationalkongress (INC), der als künftiger Premier gehandelt wird, wird seinen Kritikern beweisen müssen, dass er den demokratischen Prinzipien, die er sich auf die Fahne geschrieben hat, verpflichtet ist.

Überschattet wurde das Treffen von einem Konflikt zwischen den beiden großen kurdischen Partein, KDP und PUK. KDP-Chef Massud Barsani warf der PUK vor, entgegen der Absprachen Peschmerga-Einheiten in die umstrittene Erdölmetropole Kirkuk verlegt zu haben. Zwar wurde der Konflikt inzwischen beigelegt, doch zeigt er, wie brüchig der Frieden ist.

Das Treffen bei Nassirija war erst einmal eine Aufwärmübung für den künftigen Chef der amerikanischen Zivilverwaltung, General a. D. Jay Garner. Von seinem Geschick und der baldigen Beendigung der Rechtlosigkeit im Irak wird es abhängen, ob die Willenserklärung von Nasriya Bestand haben wird.