orientexpress (4)
: Beobachtungen unseres Nahost-Korrespondenten Karim El-Gawhary aus Bagdad

Resümee an einem präsidialen Ort

„Have a nice day“ – einen wunderschönen Tag wünscht der US-Soldat am Ausgang des Palestine Hotels, das neben den Journalisten auch der US-Armee als Unterkunft dient. Rund um das Hauptquartier-Hotel erstreckt sich die „befreite Zone“. Die „Vereinigten Staaten von Irak“, wie s ein Bagdader eher abschätzig nennt.

Deren Hoheitsgebiet erstreckt sich auf alle größere Plätze der Stadt. Das neue Prinzip staatlicher Autorität ist relativ einfach: Auf jedem Verkehrsrondell, das groß genug ist, um einst in seiner Mitte eine Saddam-Statue beherbergt zu haben, steht heute ein amerikanischer Panzer. Alles andere ist rechtsfreie Zone.

Der „nice day“ beginnt nur wenige Kilometer vom Palestine Hotel entfernt auf dem Bagdader internationalen Ausstellungsgelände, also an jenem Ort, an dem zuvor ausländische Firmen versuchten, mit Saddam Hussein und den Seinen ins Geschäft zu kommen. Heute ist dort besonders jeglicher fahrbarer Untersatz gefragt. Dutzende von Menschen stehen am Straßenrand und versuchen, ein Taxi herbeizuwinken, um dann ihr Diebesgut in den Kofferraum zu stopfen oder, je nach Größe, auch auf den Gepäckträger zu schnallen.

Wer kein Geld für ein Taxi hat oder keinen Freund mit einem Pick-up, der behilft sich eben anderweitig. Wie jener Mann, der auf einem Bürostuhl eine große Kiste über die Tigrisbrücke rollt. Er hat es noch ein ganzes Ende bis nach Hause, denn der Strom des Diebesguts lässt sich geografisch einfach beschreiben.

Alle Wege führen in Richtung Norden, in die schiitischen Armenviertel der Stadt.

Da helfen auch alle Appelle nichts, wie der auf einem Transparent in einer Einkaufsstraße in der Innenstadt, auf dem es heißt: „Bitte, liebe Leute, das Stehlen von Eigentum ist genauso schlimm wie die Ermordung Husseins, und jegliche Hehlerei ist haram – islamisch nicht korrekt.“ Ein dezenter Hinweis an die schiitischen Mitbürger, in deren Glaubensdogma der Mord an ihrem Propheten Hussein ein zentrales Thema darstellt.

Es scheint wenig zu helfen, denn nur wenige Meter von dem Transparent entfernt fallen Schüsse. Die übliche Auseinandersetzung zwischen Einwohnern und Ladenbesitzern der Straße und auswärtigen Plünderern. Der Taxifahrer biegt einfach in der nächsten Seitenstraße rechts ab. Die tägliche Umwegtechnik, um jeglichen Ärger und, wenn es geht, auch jede amerikanische Straßensperre weiträumig zu umfahren.

So viel zu meinem „nice day“, der aber dann doch noch eine gute Wendung nahm, bei einem Spaziergang durch den Jumhurija-Präsidentenpalast, der eigentlich nicht nur aus einem Palast besteht, sondern aus einem riesigen Areal aus Palastbauten. Bei meinen früheren Aufenthalten in Bagdad galt dieser Ort als eine absolute Tabuzone, über die man nur flüsternd sprach.

Selbst am anderen Tigrisufer durfte man nicht stehen bleiben und einen genauen Blick auf das Objekt werfen. Bei den durchschnittlichen Irakern galt es schon als gefährlich, in Richtung des Palasts auch nur zu deuten.

Jetzt kann man in den verbotenen Palastgärten zwischen zwitschernden Vögeln und blühenden Frühlingsbüschen wandern, zumindest als ausländischer Journalist. Für Iraker gilt das ganze Gebiet noch immer als Tabuzone, statt Saddam Hussein residiert dort nämlich neuerdings in einem der Palastbauten das Hauptquartier einer US-Einheit dieser Stadt.

Der kleine, surreale Ausflug in die verfallene Saddam’sche Pracht hat sich dennoch gelohnt. Vorbei an vergoldeten Louis-qinze-Sesseln und durch Säle mit prächtigen und klotzigen Schreibtischen, abgedunkelt mit grünen Brokatvorhängen, den zerbombten Kuppelsaal links liegen lassend, steht man schließlich vor der geöffneten Tür zu jener Lokalität, zu der selbst ein Präsident allein geht. Vergoldete Wasserhähne und eine runde Badewanne, von der allerdings schon jemand den vergoldeten Duschkopf entfernt hat, geben dem stillen Örtchen einen besonderen Flair. Die Verlockung war natürlich zu groß, um ihr zu widerstehen.

Als Resümee über den absoluten Höhepunkt einer journalistischen Laufbahn nur so viel: Ich danke den Amerikanern für die Möglichkeit, meine Blase zu befreien, wenngleich sich dies an einem präsidialen Ort auch nicht anders anfühlt als anderswo. Thank you very much – and have a nice day.