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: Schröder bleibt – die Werte gehen

„Geschichte wiederholt sich nicht“ – so Franz Müntefering in seiner Funktion als Geschichtsphilosoph. Es gilt, der Sorge entgegenzuwirken, die den SPD-Mitgliedern einflüstert, der heutige Parteistreit könne zur Neuauflage der Krise von 1982 werden, die bekanntlich für die Schmidt-Regierung letal endete.

Kommentarvon CHRISTIAN SEMLER

Tatsächlich sind die Unterschiede zwischen beiden Ereignisketten viel zu deutlich, als dass die 82er-Krise als Menetekel an die Wand gemalt werden könnte. Damals hatte Schmidt die Kontrolle über die Partei verloren, konnte die Fronde der Gegner seiner Wirtschaftspolitik in der SPD nicht aufbrechen, sodass die Liberalen absprangen. Und mit der Raketenstationierung produzierte er selbst eine für ihn ruinöse Protestbewegung.

Diese ganze Zusammenballung krisenbefördernder Elemente hat Schröder nicht zu fürchten. Er ist Vorsitzender der Partei, beherrscht deren Mechanismen und hat die Linke der Regierungsfraktion fest im Griff – von seinem Koalitionspartner zu schweigen. Sein Antrag auf dem Sonderparteitag wie auch sein eventueller eigener Antrag für eine Mitgliederbefragung wird ein paar Konzessionen beinhalten, ohne die neoliberale Substanz der Agenda 2010 zu berühren. Schröder droht aus der Partei gegenwärtig keine Gefahr.

Der Kanzler kann zwar das linke Konglomerat zerstreuen, aber den Legitimitätsverlust nicht auffangen, den die Verabschiedung von Solidarität und Gerechtigkeit mit sich bringt. Viele Parteimitglieder wissen auf die einfache Frage „Warum bin ich eigentlich Sozialdemokrat?“ keine Antwort mehr. „Warum soll ich diese Partei eigentlich wählen?“ ist nur das Echo aus dem Wahlvolk – sehr zur Beunruhigung keineswegs nur linker Funktionäre. Die SPD hat sich „Innovation und Gerechtigkeit“ auf ihre Fahnen geschrieben. Der Slogan ist sicher interpretierbar, aber schlecht in sein Gegenteil umzukehren. Die Besorgnis über die Erosion der „Grundwerte“ hat überhaupt nichts mit Traditionalismus zu tun, sondern mit der Angst vor Identitätsverlust. Diese Angst spürt die ganze Partei. Es bedürfte einer bis in die SPD-Rechte reichenden Anstrengung, sich dem Werte-Erosions-Prozess entgegenzustemmen. Ein Politiker, der den Anspruch auf eine programmatische wie praktisch wirksame Ausarbeitung des Gerechtigkeitspostulats einlösen könnte und über integrative Fähigkeiten geböte, ist nicht in Sicht. Aber auch der Große Verschwundene hat als Bürgermeister Saarbrückens klein begonnen.