Nie mehr Lambada in der Überseestadt

Das Waller Hafen-Casino, Aufwärm-Stube von Truckern, Hafenarbeitern und den „Damen mit Lacktäschchen“ soll einer Baumreihe weichen. Die Kneipe, sagen die Planer der schicken Überseestadt, „passt hier nicht ins Bild“. Kunst-Professoren protestieren gegen die „Kultur-Zerstörung“

„Eine Hafenkneipe muss ein bisschen schmuddelig sein“, sagen die StammgästeDie HfK-Studis wollen nicht in den Hafen ziehen, „wenn da alles glatt ist“

taz ■ „Das passt hier nicht mehr ins Bild.“ Rita Otten kann den Spruch nicht mehr hören. Jahrzehntelang gehörte ihr „Trucker Stop“ zum Hafen wie der Roland zum Marktplatz. Jetzt soll die Kneipe am Waller Stieg einer baumbestandenen „Flaniermeile“ weichen – Zugang in die neue, schicke „Überseestadt“.

Das Hafen-Casino ist alles andere als schick: angegilbte Resopal-Tische, altrosa Fransen-Deckchen. Auf dem Spielautomaten an der Wand steht Brummi, die „Fern-Schnell-Gut“-Ikone mit den sechs Rädern unter dem dicken Bauch. „Eine Hafenkneipe muss ein bisschen schmuddelig sein“, sagt der Schlosser aus einer Werkstadt nebenan: „Sterile Kneipen gibt’s genug.“

Trucker schauen hier morgens zum Frühstück mit Gewürzgurke vorbei und duschen, um sich frisch zu machen. Der Kaffee-Pott wird auf Haake-Beck-Filz serviert, am Trinkrand ist die Glasur abgesprungen. Dafür ist das Preissystem US-amerikanisch: Nur die erste Tasse kostet, anschließend gibt es Refills bis zum Abwinken. Ganze Thermoskannen werden für sagenhafte 1,80 Euro aufgefüllt.

Mittags schlagen sich Arbeiter aus den umliegenden Betrieben den Magen mit „Bockwurst auf Sauerkraut mit Püree und Soße“ voll – und abends kommen die „Damen mit dem Lacktäschchen“ von der Straße herein, um sich aufzuwärmen. „Das ist eigentlich eine soziale Einrichtung hier“, sagt Pächterin Otten.

Die Stadtplaner schert das wenig. Die Bremer Investitionsgesellschaft (BIG), die aus der Hafenbrache ein neues Wohn- und Geschäftsviertel machen soll, kündigte den Pachtvertrag. Seit Oktober ist der „Trucker Stop“ nur noch „geduldet“. Aus „städtebaulichen Gesichtspunkten“, sagt BIG-Sprecher Lutz Ruminski, müsse dort eine Freifläche hin: „Sobald der Abriss-Termin steht, müssen die da raus.“ Der Pächterin habe man aber ein Ersatzgrundstück in der Nachbarschaft angeboten. „Irgendwo in der Ecke und auch nur vorübergehend“, sagt Otten.

„Früher haben wir hier Lambada getanzt“, sagt ein Schlosser und stützt sich auf seine fleischigen Arme. Seit 40 Jahren ist er Stammgast im „Trucker Stop“. Der hat auch neue Fans: „Das Hafen-Casion gehört zum Charme von Walle“, sagen etwa die StudentInnen von der Hochschule für Künste (HfK), die im Sommer in den benachbarten Speicher XI ziehen werden. Mit einem selbstgedrehten Video-Schnipsel gingen sie für die Kneipe schon auf Unterschriften-Fang. Ganz oben auf der Liste: HfK-Rektor Peter Rautmann. Die Grünen stellten sich hinter den „Trucker Stop“, selbst Speicher-XI-Investor Klaus Hübotter hat unterschrieben. Einstimmig hat sich auch der Akademische Senat der HfK für den Erhalt des Hafen-Casinos ausgesprochen. „Wir wollen nicht in den Hafen ziehen, wenn da alles glatt ist“, sagt Design-Student Nadino Meinecke.

So viel Solidarität freut das Publikum im „Trucker Stop“. „Es ist ja schon fast Tradition, dass die Politik gut gehende Betriebe dicht machen will“, sagt ein Stammgast. „Wo soll ich sonst essen gehen?“, fragt ein anderer. CDU und SPD haben angekündigt, den Abrissnochmals zu prüfen.

Wirtin Rita Otten hat inzwischen angeboten, den „Trucker Stop“ auf Vordermann zu bringen. Bislang ist sie damit auf taube Ohren gestoßen. Bleibt noch die Hoffnung, dass die Überseestadt GmbH tatsächlich ihre Pläne ändert und auf die Baumreihe an Stelle des Hafen-Casinos verzichtet. Ausschließen will Sprecher Ruminski das nicht. Andernfalls ist im „Trucker Stop“ im Mai wohl endgültig Feierabend. Otten sarkastisch: „Wahrscheinlich baut man dann irgendwann ein Museum und stellt das nach.“

Armin Simon