Vorsicht vor Samenspenden

Wie viel Freizeit braucht der Mensch? Für alle, deren Prioritätenpendel in Richtung „mehr Geld“ ausschlägt, ist klar: Ein Nebenjob muss her! So bleibt der Bettelstudent keiner

„Ich mach‘ da eigentlich fast gar nichts außer meinen Seminaraufgaben“

taz ■ Die Alternative Eltern oder Nebenjob als Geldquelle ist zu vergleichen mit der von Wind- und Atomenergie: Die Eltern stellen eine stetige und jugendfreundliche, allerdings mit Geduld zu behandelnde Ressource dar. Der (“Atom-“) Nebenjob bringt in kurzer Zeit viel, verstrahlt dafür aber die selbst bestimmte Freizeit.

Die Selbstbestimmung der Freizeit stößt umgekehrt allzu häufig an finanziellen Grenzen. Auf die Ferien wartet man zwar sehnsüchtigst, aber auf der Zeit alleine kann man noch lange nicht snowboarden. Auch das (Party-) Wochenende lässt sich unbeschwerter genießen, wenn man nicht für jedes Bier zum Türken an der Ecke laufen muss. Also: Ein Nebenjob muss her!

Aber welcher? Die Klassiker zum Einsteigen: Babysitten und Zeitungsaustragen. Süße, am besten schlafende Kinder, ein gefüllter Kühlschrank und ein angemessenes Unterhaltungsangebot, sprich: Videos, Fernseher etc. Das kommt dem Traum „das Geld liegt auf der Straße“ verlockend nahe. Achtung: Das Ganze sieht mindestens 100 Töne schwärzer aus, wenn man nervige, schlecht bis gar nicht erzogene und vor allem (rette sich wer kann) wache Kinder bändigen soll! Wenn die Wonneproppen nur noch kreischen und heulen, gilt: Hier liegt nicht das Geld, sondern die Nerven des Nebenjobbers auf der Straße!

Auszutragende Zeitungen sind da ruhigere Zeitgenossen. Man ist auf seinen Touren relativ frei und muss sich während der Arbeit nicht den Launen anderer unterwerfen. Außerdem ist man an der frischen Luft. Leider gibt‘s aber auch einen Nachteil: Regen. Schwupps, verschwindet der Spaß an der grenzenlosen Freiheit der Großstadtprärie.

Auch klassisch: das Kellnern. Servieren und Bierchen ausschenken ist eine der besten Möglichkeiten, relativ schnell an relativ viel Geld zu kommen. Der Grundlohn ist zwar eher niedrig (oft nur um sechs Euro), doch das Trinkgeld lockt. Aus dem kargen Grundlohn können so schnell zehn Euro pro Stunde werden. Die Stressresistenz wird allerdings oft hart geprüft, denn man darf nicht denken, die Gäste seien eine zufällig aufeinander treffende Ansammlung von Durstigen. Nein! Die Organisation ist besser als die der Mafia! Sie verabreden sich über geheime Codes im Internet und stürmen grundsätzlich alle zusammen den Laden, um das ganze Servicesystem lahm zu legen.

Wem dabei das freundliche Lächeln vergeht, sollte sich lieber nach einem entspannteren Arbeitsplatz umsehen. Zum Beispiel als Klamottenverkäufer in kleinen Läden oder als Aushilfe in einem Sonnenstudio. Hierbei geht es oft mehr um die Präsenz als um wirkliches Arbeiten, so wie bei Jasmin (19): “Ich mach‘ da eigentlich fast gar nichts außer meinen Seminaraufgaben. Ab und zu zeig ich auch noch, wo der Turbobräuner steht“.

An seinen Traumjob kann man durch das berühmte “Vitamin B“ gelangen, sprich: fragen, ob nicht die Bekannte der besten Freundin seiner Mutter noch Unterstützung in ihrem Öko-Laden braucht. Wenn nun allerdings besagte Bekannte von Mamas Freundin gar keinen Bioladen hat, ist das auch noch kein Weltuntergang. Nicht nur ihr braucht einen Job, sondern die Jobs brauchen auch euch.

Viele Arbeitgeber könnten ohne Studenten gar nicht konkurrenzfähig bleiben, denn viele „Erwachsene“ würden für sieben Euro in der Stunde wahrscheinlich gar nicht erst vom Sofa aufstehen. In der Zeitung ist sicherlich immer mal wieder Vernünftiges zu finden, häufig steht aber auch viel unseriöser Müll drin. Gerade wer auf extreme Summen („Bis zu 3.000 Euro als Samenspender!“) oder „Bardamen für neuen Club in Delmenhorst“ („Zimmer kann gestellt werden“) anspringt, wird kaum den gewünschten Job erwarten können.

Johannes hat eine Zeit lang bei einem Call-Center fast 25 Euro pro Stunde verdient. Warum er bei dem hohen Lohn dort aufgehört hat? „Ich musste. Die Agentur wurde aufgelöst, weil es Ärger mit der Polizei gab.“ Seriöser geht es bei der Vermittlung vom Arbeitsamt zu (siehe Kasten). Man gibt die gewünschten Jobs an und wird benachrichtigt, wenn Aushilfen in diesem Bereich gesucht werden. Aus Unfähigkeit, die Stellen auf die Jugendschutzbestimmungen hin zu prüfen, werden nur Volljährige vermittelt – nur zur Info, Studenten sind das ja meist.

Die größte Aussicht auf einen Job hat man, wenn man sich einen Nachmittag Zeit nimmt und mit der Einstellung „Ihr braucht mich ja sowieso“ die Läden der Umgebung abklappert. So findet sich fast immer was. Eine schriftliche Bewerbung wird nur für die goldene Königsdisziplin in Sachen Schuften benötigt: Schichtarbeit bei Daimler Chrysler. Es gibt ein paar ganz Harte, die ihre Semesterferien am Band verbringen: „Ich dachte, ich würde die Leute aus der Schule erst mal nicht mehr sehen, aber am Band hab‘ ich meinen halben Jahrgang wiedergetroffen“, erzählt Miriam. Sie hat zwei Monate lang 38,5 Stunden in der Woche gearbeitet, um nach Kuba und Guatemala zu reisen. Insgesamt hat sie 4000 Euro erarbeitet. Allerdings sieht man ihr die Erholung in der Sonne der Neonröhren auch wirklich an: Blasses Gesicht, Augenringe, der Stress des immer weiterlaufenden Bandes zeigt Wirkung: „Das ist eine ganz andere Welt, von der ich vorher nie etwas geahnt hatte. Nach einer gewissen Zeit hatte ich mich aber daran gewöhnt.“ Etwas erschreckt darüber, wie sehr man sich an die Arbeit beim „Daimler“ gewöhnen kann, hat sie dann aber doch ein Kollege: „Am Anfang wollte ich eigentlich auch nur drei Monate bleiben.Jetzt bin ich schon zwanzig Jahre hier!“

Melike Wulfgramm