Das Morgen sieht mit

Der Leipziger Fotograf Steffen Junghans interessiert sich für den Stillstand der Zeit. Dass dieses Konzept sich auch auf die Zukunft ausdehnen lässt, zeigen seine Fotos in der Galerie Quicksilver

von BRIGITTE WERNEBURG

Ein Foto verwebt Anwesenheit und Abwesenheit, Gegenwart und Vergangenheit. Roland Barthes spitzte diesen Befund in der Feststellung zu, das Signum der Fotografie sei eben gerade die Tatsache, dass sie Gegenwart stets in Vergangenheit verwandle und dass ihre Aussageform die des „Es ist gewesen“ sei. Und trotzdem, manche Fotografien sagen: Es ist, und es gibt. Und sie sagen sogar, es wird sein.

Die Justizvollzugsanstalten, also Gefängnisse, die die Absolventen der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HfGB) in Leipzig, Steffen Junghans und Andrea Seppi, zwischen 1995 und 1998 in Sachsen und Bayern fotografierten, sie sind. Die graue, abweisende Baumasse der JVAs von Hof, Zeithein oder Bautzen, ihre unscheinbare Monumentalität, ihr serieller Charakter ist. Auch wenn auf die Bilder selbst das Barthes’sche Diktum des „Es ist gewesen“ zutrifft: Die abgebildeten Bauten verkörpern Dauer, und die hellen Farbfotografien von Junghans und Seppi zeigen genau dies. Wahrscheinlich macht dieses Wissen, dass sie auch morgen so funktionieren werden, wie sie gestern fotografiert wurden, den Schrecken aus, den man beim Betrachten dieser Architektur empfindet.

Steffen Junghans bearbeitet in seinen Fotografien Zukunft. Das ist ungewöhnlich. Noch ungewöhnlicher aber ist es, dass ihm dies gelingt, wie es jetzt seine Serie „Einrichten“ zeigt, die in der neu eröffneten Galerie Quicksilver im Stilwerk zu sehen ist. Seiner Arbeit liege die Frage zugrunde, vermerkt Junghans, wie sich der Mensch des 21. Jahrhunderts in seinen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Modellen eingerichtet habe, ob Hoffnung daraus spreche und wohin der Weg gehen werde. Dazu hat er Räume verschiedener Fachbereiche der Universität Leipzig fotografiert: Hörsäle, Unterrichts- und Laborräume, Räume im prekären halböffentlichen Bereich. Eigentlich zugänglich, ist ihre funktionale Bestimmtheit doch so groß, dass man sich sicher ist, man habe dort nichts verloren. Wenn Steffen Junghans uns mit seinen Fotografien in diese Räume führt, dann zeigen seine Bilder ohne weitere Umschweife, dass diese Räume tatsächlich ein Modell für das Verhältnis der Öffentlichkeit zur Grundlagen- und Spitzenforschung sind.

Sie stellen dieses Verhältnis aber auch in Frage. So fotografierte Junghans einige Motive zweimal. Einmal ist ein Unterrichtsraum voll Studenten, die emsig an ihren Tischen arbeiten und diskutieren, und das andere Mal ist der Raum leer. Einmal ist er voll Leben, nichts scheint an der Situation fragwürdig. Das andere Mal sind dann aber ein paar altmodische Schränke im Hintergrund zu entdecken, die das Alter und die Tradition der Universität in einer Weise verdeutlichen, dass die Situation vollkommen museal wirkte, wären da nicht die modernen, spinnenartigen schwarzen Hocker, die bezeugten, dass hier gearbeitet und geforscht wird. Mit dieser musealen Atmosphäre kommt paradoxerweise die Zukunft ins Spiel, denn es scheint deutlich: So wie hier schon lange unser Leben modelliert wird, so wird es auch weiterhin geschehen. Und dann kommt tatsächlich die Frage auf, was diese Räume für uns bedeuten.

Die großen, sorgfältig in Szene gesetzten Querformate, in denen der Fotograf sehr durchdacht Anwesenheit und Abwesenheit, Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft verwebt, bilden den Auftakt der Arbeit der Galerie Quicksilver, die sich der Ausstellung technischer Bilder, also auch Computer- und Videoinstallationen, widmen will. Die nächste Ausstellung wird Andrea Seppis und Steffen Junghans JVA-Serie zeigen, der schöne, prämierte Band der HfGB liegt in der Galerie aus. Quicksilver verdankt sich einer Kooperation mit dem Stilwerk, das dem Medienbüro West, einer Einrichtung des Bezirks Charlottenburg, die Galerieräume ein Jahr umsonst überlässt.

Bis 10. Mai, Di.–Fr. 11–19, Sa. 11–15 Uhr, Kantstraße 17