Mord in Moskau

Der liberale russische Abgeordnete Sergej Juschenkow wird auf offener Straße erschossen. An politischen Feinden mangelte es ihm nicht

BERLIN taz ■ In seine neue Wohnug in der Moskauer Straße der Freiheit wird der Duma-Deputierte Sergej Juschenkow (52) nicht mehr einziehen. Er wurde am Donnerstagabend erschossen, bevor er nachsehen konnte, wie die Renovierung dort vorankam. Am gleichen Tage, einige Stunden vor seinem Tod, hatte ein strahlender Juschenkow den Fernsehkameras verkündet, dass die von ihm mitgegründete Liberale Partei Russlands endlich vom Justizministerium als legal registriert worden war. „Wir hoffen, bei den kommenden Parlamentswahlen die Drittstärksten zu werden“, sagte er.

In den vergangenen neun Jahren sind neun Deputierte der russischen Duma Opfer von offensichtlichen Auftragsmorden geworden. Keiner dieser Morde wurde bisher aufgeklärt. Auf der Straße der Freiheit will die Miliz bisher keinerlei Zeugen des Geschehens gefunden haben. Der Attentäter, der den Abgeordneten viermal in den Rücken schoss, ließ eine Makarow-Pistole mit einem Dämpfer am Ort des Geschehens zurück.

Juschenkow, einst Dozent für marxistische Philosophie, war Veteran der russischen demokratischen Bewegung. Ein Vollblutpolitiker, der sich nicht mit Geschäftemacherei befasste. Mit Präsident Boris Jelzin überwarf er sich, als der den ersten Tschetschenienkrieg anzettelte. Seine neue Partei gründete er 2001 mit finanzieller Hilfe des Oligarchen Boris Beresowski. Die großen Schwierigkeiten, die Liberale Partei Russlands beim Justizministerium registrieren zu lassen, führte Juschenkow auf die Beteiligung des Tycoons zurück. Beresowski war inzwischen bei Präsident Wladimir Putin in Ungnade gefallen und ins Ausland geflohen, wo er bis heute kompromittierendes Material gegen den Präsidenten sammelt. Bald allerdings überwarfen sich auch Juschenkow und Beresowski. Es folgte ein Kampf um die Führerschaft innerhalb der neu gegründeten Oppositionspartei, den Juschenkow gewann.

Dabei verpasste der rührige Demokrat kaum eine Gelegenheit, die ihm neue politische Feinde schaffen würde. Beharrlich äußerte er den Verdacht, dass der Geheimdienst FSB hinter den Attentaten auf zwei Moskauer Hochhäuser gesteckt habe, bei denen im Jahre 1999 über 300 Menschen starben. In letzter Zeit griff er heftig die Putin’sche Irakpolitik an und meinte, der Präsident sei der populistischen Politik der deutschen und französischen Führung auf den Leim gegangen. BARBARA KERNECK