Schwarzes Loch

An Bremens guter Stube, der Sielwallkreuzung, tut sich ein neuer Abgrund für unheilbare Vinylisten auf

Was soll jemand über einen Plattenladen schreiben, der immer, wenn er einen solchen betritt hofft, nichts zu finden, was er gern hätte, weil er das Geld dafür nicht hat, aber kaum umhin kommt, es dennoch – sagen wir – für die Bl‘ast-Single mit der Version von Alice Coopers „School‘s Out“ oder ein paar Minutemen-Platten auszugeben?

Der lebenslange Selbstversuch zeigt: Reingehen, den Geldbeutel zusammenkneifen und schauen – das funktioniert nicht. Wer in Bremen irgendwie mit Punkrock und Independent zu tun hatte, musste das in den letzten zwanzig Jahren bei „Überschall“ schmerzhaft erfahren.

Erst war der Laden ein Loch in der Wand am Sielwall, dann kam der Aufstieg in den ersten Stock direkt über der Kreuzung. Letztes Jahr hatte Bulti, Mr. Überschall, erstmal die Nase voll vom Plattengeschäft, und sein Mitarbeiter Alex beschloss, zusammen mit seinem Kumpel Axel etwas Neues an den Start zu bringen. Seit letztem Herbst residiert nun „Lonely Planet Boy“ am alten Ort.

Der Name klingt beziehungsreich: Plattensammeln als solitärer Ort für einsame Jungs? Die Plattensammlung ein schwarzes Loch, das Vermögen verschlingt und nie wieder hergibt? Nein, so kompliziert ist es nicht. „Ich bin ein großer Fan der New York Dolls“, erzählt Axel, „und Lonely Planet Boy ist ein Song von denen.“

Der alte Spagat zwischen Passion und Notwendigkeit: Ein Geschäft muss sein, aber nicht um jeden Preis. Also haben die beiden Musikliebhaber sich ein Geschäft ausgesucht, mit dem man einerseits nicht reich wird, andererseits aber den eigenen Geschmack nicht vernachlässigt. Der schlägt sich nieder in einem spezialisierten Angebot, zu dem auch Bücher, Videos, Poster und andere Pop-Devotionalien gehören. Bestellen können die beiden fast alle gängigen Tonträger, aber: „Hier die neue Platte von Herbert Grönemeyer zu verkaufen, hat wirklich keinen Sinn“. Dafür gibt es fachkundige Beratung in Fragen des Punkrock und Reggae – reinhören inklusive.

Und diese Leute verkaufen nicht nur Platten, sie kaufen sie auch. Natürlich nicht aus Spaß. Sondern um sie weiterzuverkaufen. Wer im elterlichen Plattenschrank noch eine Ladung superrarer Soul-LPs aus den späten Sechzigern findet und nicht weiß, was er damit tun soll, wird sie hier bestimmt los. Wichtig: Vinyl bevorzugt. „Wir werden aber auch die CD-Abteilung noch ausbauen“, sagt Alex. Und die Kaffee-Bar. Tische und Sitzbänke sind schon da.

Von hier aus hat man einen wundervollen Ausblick über Bremens gute Stube: die Sielwallkreuzung. Sozusagen die VIP-Lounge vom Eck. Da wird der Plattenladen wieder der Platz, wo man rumhängt und Musik hört, GeschmacksgenossInnen trifft und so. Eine nette Sache. Und natürlich keineswegs nur für Jungs von Interesse.

Andreas Schnell

„Lonely Planet Boy“, Am Dobben 75. Im Netz: www.lonelyplanetboy.deg