Verträumtes Wandern durchs Auetal

Eine Gruppensuche nach Overbecks Motiven: Wo der Maler vor hundert Jahren seine Staffelei aufstellte, zieht sich heute die B 74 durchs Land. Aber der Bach, der ist noch da. Wie auch die Enkelin des Impressionisten, die die Wanderer im ehemaligen Künstlerrefugium empfängt

„Overbeck stand genau hier“, ist einer überzeugt und streckt feldherrisch den Arm

Das erste Bild heißt „Ziegeleiteiche“ – zwei kristallklare Weiher werden von blühenden Bäumen umrahmt. Idylle. Dann der prüfende Blick auf die Wirklichkeit: ein brauner Tümpel im Garten eines verwilderten Hauses. So hat es wohl kaum ausgesehen, als der Maler Fritz Overbeck vor 100 Jahren dieses Motiv malte. „Man muss schon etwas Fantasie walten lassen“ erklärt Bärbel Fuhrmann.

Es ist still am Schloss Schönebeck. Um 11 Uhr morgens scheinen die Vögel immer noch nicht aufgewacht zu sein. Dafür hört man das leise Gemurmel der 18 Kulturfreunde, die sich versammelt haben, um auf Fritz Overbecks Spuren zu wandeln. „Wir spazieren am Auetal entlang zu Overbecks Haus und Garten“, heißt es in der Einladung, „um dann weiter auf dem Auewanderweg zum Hafen und zur Fähre zu gelangen.“

Weiße Haare flattern im Frühlingswind. Kein Spaziergänger ist unter 50 Jahre alt. Die Führerin auch nicht. Bärbel Fuhrmann ist eine kleine ältere Frau, als ABM-Kraft im Archiv der Fritz-Overbeck-Stiftung angestellt. Sie ist „weder Künstlerin noch Kunsthistorikerin“. Sie interessiert sich einfach für den Maler. Lange hat sie sich auf diesen Tag, an dem sie erstmals eine Wanderung leitet, vorbereitet. Nun ist sie ein bisschen aufgeregt, obwohl sie die meisten der Wanderer kennt.

Die Gruppe marschiert in die Natur, lässt sich von der Sonne wärmen, riecht das blühende Gras und spürt die Insekten auf der Haut, nach Overbecks Motiven suchend. Genauso muss es einst der Maler gemacht haben, wenn er hemdsärmelig ins Grüne aufbrach. Irgendwann wird er die Staffelei von den Schultern genommen und sich noch einmal durch den Bart gestrichen haben, bevor er ins Weite blickend seiner Kunst freien Lauf ließ.

Nur die Landschaft hat sich verändert. Wo sich früher endlose grüne Weiden erstreckten, zieht sich heute der Erdwall der B 74 durch das Land. Die Stimmung ist trotzdem gut. Das Grüppchen erreicht langsam das nächste Motiv, einen klaren Bach. Der Bach ist immer noch da.

„Overbeck stand genau hier“, ist ein Wanderer überzeugt und streckt seinen Arm feldherrisch gen Süden, mit einem Auge auf die Gemälderepro schielend. Dabei trifft er fast mit einem anderen Wanderer zusammen, der seinen Arm im selben Moment nach Norden gerichtet hat. Leichtes Kopfschütteln ringsum. „Ich glaube eher von hier nach da“, wirft eine andere Spaziergängerin ein.

Die Frage kann nicht erschöpfend geklärt werden. Ist aber eigentlich auch nicht wichtig. Der Impressionist Overbeck war schließlich ständig auf der Jagd nach dem Flüchtigen des Augenblicks.

Nicht verflüchtigt hat sich hingegen Overbecks Haus. Zwar gibt es keine Erker mehr, ein weiteres Stockwerk und eine andere Haustür. Dafür wohnt aber immer noch eine echte Overbeck hier. Gertrud ist die Enkelin des Malers. Sie tritt mit rüstigen Schritten vor die Tür. So wird es auch Hermine, Fritzens Frau, 100 Jahre früher gemacht haben.

Das Haus ruft Erinnerungen wach. Eine zierliche Spaziergängerin wohnt schon Zeit ihres Lebens in der Gegend. Sie erzählt, dass sie als Kind immer im Wäldchen hinter dem Haus gespielt habe. „Wir sollten nicht,“ sagt sie verschmitzt, „haben aber trotzdem.“ Ein scheuer Triumph gleitet über ihre Gesichtszüge. Die Enkelin des Malers lächelt gnädig. Sie hat vor allem die zornige Reaktion ihres Großvaters erlebt. „Das gab immer Ärger, wenn die Kinder die Äpfel klauten.“ Sie erzählt, dass die Werke ihres Großvaters in Bremen als zu modern abgelehnt wurden. „Bremen ist halt ein bisschen spießig“, sagt sie freundlich lachend.

Gertrud Overbeck mag Bremen trotzdem. Sie leitet die Fritz-Overbeck-Stiftung im Vegesacker KITO. Allerdings ist sie auch nicht mehr die Jüngste, und die Wanderer munkeln, es sei kein Nachfolger in Sicht. Der Posten ist rein ehrenamtlich.

Verträumt ziehen die Kulturwanderer wieder ihrer Wege. Ob sie Overbecks Muse geküsst hat? Wir wissen es nicht. Aber einen schönen Sonntagvormittag, den haben sie gehabt. Gerrit Koy

Die Stiftung Overbeck ist über ☎ (0421) 66 36 65 zu erreichen