sarrazins spartipps
: Der Stachel im Fleisch

Selbst die Empörung wirkt routiniert: Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) nervt mal wieder seine Umwelt, kündigt an, dass die Berliner Verwaltungen noch mehr sparen müssen – und entlässt alle in die Osterferien. Natürlich regen sich fast alle wieder pflichtschuldig auf über diesen soundsovielten Sparappell. Irgendwann, denkt man sich, muss doch Schluss sein mit dem Sparen. Was soll man dem armen Onkel Berlin noch abknüpfen? Einem nackten Mann kann man doch nicht in die Tasche greifen.

Kommentar von PHILIPP GESSLER

Dennoch, die Berlinerinnen und Berliner sollten die Vorzüge Sarrazins erkennen: Er ist der Stachel im Fleisch, den diese jahrzehntelang durch Ost und West gemästete Stadt braucht. Es ist zwar nicht sehr klug, das neben der Hauptstadtfunktion einzige Kapital der Stadt durch permanenten Sparzwang zu verspielen, nämlich ihren Ruf als Bildungs-, Wissenschafts- und Kulturmetropole. Andererseits kann es der Bürgerschaft helfen, wenn sie immer wieder zu erklären und zu legitimieren genötigt wird, warum sie dieses Theater, jene Uni oder Schule zu erhalten für wichtig hält. Dieser Legitimationsdruck, den Sarrazin aufbaut, gleicht der Verhüllung des Reichstags durch Christo. Das zeitweise Verschwinden, sei es in Gedanken oder unter Planen, enthüllt erst die Bedeutung, die das Objekt für die Menschen hat.

Das Ganze funktioniert indes nur, wenn Sarrazin nicht allein bleibt mit der Mühe des Sparens: Er darf nicht der nützliche Sündenbock werden, weil die Bürgerinnen und Bürger zu faul oder fantasielos sind, billigere und bestenfalls auch kreativere Wege zu gehen, damit diese Stadt endlich aus der Schuldenfalle kommt. Berlin muss sich neu erfinden. Nicht ausgeschlossen, dass es Sarrazin zu danken ist, wenn das gelingt.