„Es könnten viel mehr sein“

Beim Ostermarsch gehen rund 3.000 unermüdliche Friedensaktivisten auf die Straße. Am in „Platz der Verarschten Nationen“ umgetauften Startpunkt finden selbst Pace-Fahnen kaum Interessenten

von LUCIA JAY

„Mutig“ findet die etwa fünfzigjährige Friedensmarschiererin die Entscheidung der Organisatoren, vom Platz der Vereinten Nationen aus zu starten. Mit ihrem Regenbogen-Fahrrad liegt sie voll im Trend. „Hier werden wohl kaum Anwohner dazustossen.“ Bekümmert blickt sie in die Platten-Landschaft, die sie umgibt und rollt ihre Pace-Fahne aus. Und richtig voll will es auch nicht werden auf dem Platz, der eigentlich keiner ist, sondern vielmehr eine Kreuzung mit ein bisschen Wiese an den Seiten der beiden sechsspurigen Straßen.

Der Startpunkt des Berliner Ostermarsches birgt jedoch hohen symbolischen Wert. Er soll, so die Veranstalter der Friedenskoordination Berlin, die Bedeutung der Vereinten Nationen festigen. Der Theologe Wilibald Jacob schlägt in seiner Rede vor, dem früheren Leninplatz besser seinen alten Namen zurückzugeben: „Imperialismus als höchste Stufe des Kapitalismus ist immer noch höchst aktuell.“ Dass der Platz bedeutungsträchtig ist, zeigt auch eine Aktion der Globalisierungskritiker von „Attac“. Sie überkleben ein Straßenschild und nennen den Platz kurzerhand von „Vereinte Nationen“ in „Verarschte Nationen“ um.

Der Ostermarsch setzt sich in Bewegung. Vorne weg steht auf ganzer Straßenbreite: „Berlin – City of Peace“. Nicht alle sind von dem Engagement auf der Lichtenberger Straße begeistert. Eine Anwohnerin beobachtet den Zug vom Balkon aus misstrauisch: „Der Krieg ist doch vorbei. Das ewige Auf-die-Straße-Gehen stört mich. Davon halte ich nichts.“

Ungefähr 2.000 Teilnehmer zählt die Polizei später. „Wenn es sehr gut wird, dann werden wir 5.000, aber ich glaube es nicht“, meint Jürgen Horn, als der Zug die Jannowitzbrücke überquert. Der Mann mit grauem Rauschebart trägt eine weiße „Ordner“-Armbinde. „Zum Konzert auf dem Mariannenplatz werden zwar noch mehr kommen, aber es könnten viel mehr sein.“

„Viele sind frustriert, weil die Demos nichts gebracht haben“, gibt Theo Wonneberger von Attac zu. „Es hat sich eben gezeigt, dass sich der Stärkere durchsetzt.“ Deshalb kämen nur noch wenige. Aber die inhaltlichen Diskussionen über Hintergründe von Kriegen müssen fortgesetzt werden, so der Friedensaktivist. Für José Castro von „Links-Ruck“ ist es ein Muss, jetzt weiterzumachen. „Das war doch nur das erste Kapitel von einem langen globalen Krieg.“

Die Schüler sind leicht ausfindig zu machen in dem Zug. Viele sind es nicht. Vielleicht weil Ferien sind. „Mich macht es schon sauer, aber es war ja zu erwarten, dass kaum noch Leute auf die Straße gehen.“ Jule Arndt vom Herder-Gymnasium gibt aber nicht auf, sondern will sich mit der Gruppe der Herausforderung stellen: „Wir müssen eben die Leute darauf stoßen, dass es weitergeht. Man kann ja nicht bei jedem Krieg von vorne anfangen.“

Veit sieht aus wie ein buntes Knäuel. Ein Pappschild mit der Aufschrift „10 Euro“ trägt er vor sich her. Er und seine drei Brüder verkaufen Pace-Fahnen. „Damit finanzieren wir die Reise mit einem Friedensbus in den Irak.“ Veit ist seine Frustration anzumerken. Sechs Stück habe er heute nur verkaufen können. „Es war zwar zu erwarten, dass es weniger werden würde, aber es ist ärgerlich – jetzt bleiben wir auf unseren Fahnen sitzen.“