Politik des leeren Stuhls

Stresemannstraße: Wegen der neuen Vierspurigkeit denkt jeder zweite Anwohner an Umzug, drei Viertel beklagen schlechtere Lebensqualität

von Anne Schemann

Da half auch der Wahlkampf nicht. Kein Vertreter des Rechts-Senats wollte am Dienstagabend mit den AnwohnerInnen der Stresemannstraße in Altona über Verkehrspolitik diskutieren. „Das ist nur erklärlich durch das, was diese Parteien hier angerichtet haben“, machte Sigrid Lemke von der Strese-Initiative ihrem Ärger Luft – und ließ symbolisch einen leeren Stuhl für die nicht Erschienenen auf dem Podium stehen.

Im Februar 2002 hatte der Senat die Busspur gestrichen – ein Jahr danach befragte die Strese-Ini ihre Nachbarn zu den Folgen der neuen Vierspurigkeit. Immerhin fast 20 Prozent gaben Antwort, die Auswertung übernahm Dr. Jörg Pohlan mit einer Gruppe Stadtplanungs-Studenten von der TU Harburg. Im Gemeindezentrum Eifflerstraße präsentierte Pohlan vorgestern den deutlichen Befund: „Für drei Viertel der Befragten hat die Wohnqualität abgenommen. Für 16 Prozent hat sich die Lage sogar dramatisch verschlechtert.“ Konkret klagten die AnwohnerInnen über mehr Autolärm, Erschütterungen und Abgase. Fast die Hälfte gab an, seit dem Umbau schlechter schlafen zu können.

Den offiziellen Zweck der Vierspurigkeit sehen die Befragten dagegen nur begrenzt erfüllt: 74 Prozent beobachten in den frühen Abendstunden nach wie vor Staus. Deutlich verändert hat sich aber das Sicherheitsgefühl der Anwohner: 93 Prozent halten das Fahrradfahren auf dem rechten Fahrstreifen für gefährlicher als vor dem Umbau, über die Hälfte fühlt sich auch auf dem Fußweg nicht mehr sicher. Dazu passt, dass 90 Prozent deutliche Geschwindigkeitsüberschreitungen beobachten, vor allem nachts. Auch die aufgestellten Radargeräte helfen nach dem Urteil der Augenzeugen wenig.

Wie hoch der Leidensdruck der Stresemann-Anwohner ist, beweist nach Ansicht von Pohlan, dass jeder Zweite „ernsthaft einen Umzug in Betracht zieht und ein weiteres Fünftel diesen sogar konkret plant“. Der Strese-Ini dankte Pohlan für das große Engagement: „Eine solche Untersuchung war längst überfällig.“

Die Verantwortung für die Misstände wiesen die anwesenden Politiker aber von sich. „Da müsse man doch eher die leeren Stühle befragen“, meinte Winfried Sdun von der GAL-Fraktion in der Bezirksversammlung Altona. Und auch Arno Münster, verkehrspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, erklärte, seine Partei würde die geforderte Planwerkstatt jedenfalls gerne unterstützen. Münster versprach auch, dass die vogesehene Tempoerhöhung auf 50 Stundenkilometer „mit der SPD in Altona nicht zu machen“ sei. Auf eine Wiedereinführung der Busspur wollte er sich aber nicht festlegen. Die Stresemannstraße sei eben ein „Politikum“, zudem eine wichtige Verkehrsachse für die Stadt.

Deshalb müsse auch das von der Strese-Ini geforderte Rechtsabbiegeverbot für Lkws genau geprüft werden. Schließlich verwies der SPD-Politiker noch auf die Kosten der Planwerkstatt, die er auf 20.000 Euro veranschlagte. Aus dem Kreis der rund 20 Zuhörer kam es da prompt zurück: „Da könnte man doch die Blitzgelder für verwenden.“