„Oder man holt uns hier raus“

Ihre Arbeit bedeutet mehr als nur Fälle abarbeiten: Die MitarbeiterInnen im Amt für Soziale Dienste Walle/Findorff akzeptieren ihre Kunden so, wie sie sind. Schon jetzt fehlt oft die Zeit zum nötigen Gespräch – aber mit Hartz wird alles noch schlimmer

Bremen taz ■ Vom Gang rummst es gegen die Tür. Die ist geschlossen und bleibt es auch. Aber die drei Menschen am Tisch blicken auf, erst alarmiert, dann, Sekundenbruchteile später, lächelnd, grinsend fast. Als amüsierten sie sich über den eigenen Schrecken. Erst ein paar Tage ist es her, dass im Amt für Soziale Dienste Findorff/Walle im backsteinernen Volkshaus an der lärmenden Hans-Böckler-Straße ein psychisch kranker Besucher randaliert hat. Türen eingetreten, gebrüllt, gedroht, Angst gemacht. Immer noch sind alle wachsam, unten im Foyer stehen zwei Männer vom Sicherheitsdienst, und auf den Fluren darüber reicht ein Rumms, dass alle aufschrecken.

„Die kommen an uns ran“, das ist die neue Botschaft des Rumms. Nicht dass die Menschen, „Kunden“ genannt, im AfSD nicht an die Sachbearbeiter rankommen sollten – aber nicht gegen deren Willen. „Die kommen an uns ran“, sagt Patricia Granz, Abteilungsleiterin im Volkshaus, „das ist eine ganz üble Erfahrung.“

Übel und in dieser neuen Qualität bisher einzigartig, aber dass ihre Kunden schneller als bisher ausrasten, die Mitarbeiter anbrüllen oder die Türen knallen, das bestätigen alle, die im Volkshaus arbeiten. „Die Menschen sind einfach in einem desolaten Zustand, und der wird schlechter“, sagt Wiebke Rendigs, Leiterin des AfSD Walle/Findorff, „die werden ja nicht aus Spaß gewalttätig, sondern weil sie so unter Druck stehen.“

Kundenvielfalt im Volkshaus

Ins Volkshaus kommen viele verschiedene Kunden, nicht nur die durchschnittlichen Sozialhilfebezieher. Hier sitzen die Ansprechpartner für wohnungslose, drogenabhängige und straffällig gewordene Menschen. „Cool“, sagt Michaela Neuhoff in einem der vielen Zimmer hinter einem der vielen Schreibtische, als ihr ein Kunde erzählt, was er für seine neue Wohnung schon alles organisiert hat. „Wie geht es dir?“, fragt sie einen anderen, und das klingt nicht nach Floskel. Der Angesprochene nuschelt was von Krankenhaus und von ganz gut und zeigt ein paar Kratzer. „Steht dir gut, die Farbe“, sagt eine Kundin zu Michaela Neuhoff und deutet auf deren rote Jacke. „Die meisten kenne ich schon lang“, sagt die Sachbearbeiterin, „und viele kommen immer wieder.“

Auch der, dessen Onkel im Sterben liegt. In Berlin. „Das versteht hier irgendwie keiner, dass ich da ‘n Ticket oder so brauche“, sagt der Mann Richtung Neuhoff, „die sagen alle ganz stumpf Nein.“ Das hätte sie auch gesagt, sagt die Sachbearbeiterin ruhig und blickt den Mann an, „es gibt nichts extra“. Der Mann spricht weiter von seinem sterbenden Onkel und sagt dann, ganz ohne Übergang: „Dann noch was: Nächste Woche muss ich nach Hannover.“ Zum Konsulat, er brauche einen neuen Pass. Der kostet und dafür brauche er Geld. Die Sachbearbeiterin nickt. Als sie fragt, wie‘s mit den Drogen sei, sagt er: „Ich bin gerade voll dabei, ‚ne Wohnung zu suchen. Da kann man nicht ohne.“ Neuhoff zieht die Augenbrauen hoch. Später erklärt sie, der Mann komme gerade aus einer Entgiftung – „die hat also nichts gebracht.“

„Bei den Mitarbeitern gibt es eine hohe Akzeptanz für ihre Leute“, sagt Wiebke Rendigs. Die besondere Kompetenz bestehe hier nicht nur in der Abwicklung der Vorgänge, sondern darin, „dass die Menschen nicht ausgegrenzt werden.“

Wie sieht die Zukunft aus?

Die Zukunft der Einrichtungen im Volkshaus ist indes ungewiss. „Mein Wunsch ist es, dass man das, was wir hier haben, bestehen lässt“, sagt die Leiterin. Mit der Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe zum Arbeitslosengeld II wird sich die Struktur jedoch wahrscheinlich komplett ändern. Rendigs schätzt, dass beispielsweise 60 bis 80 Prozent der Straffälligen künftig diese Leistung bekommen, womit dann die Agentur für Arbeit für sie zuständig wird. Bisher kümmern sich die Mitarbeiterinnen im Volkshaus gemeinsam mit den Kunden um Wohnung, Lebensunterhalt, Arbeit. Sie arbeiten mit den Haftanstalten, Bewährungshelfern und freien Trägern zusammen. Die Hälfte ihrer Kunden in diesem Bereich, schätzt Rendigs, schafft den Weg zurück in die Unauffälligkeit der Legalität: „Ein solches Knowhow kann man nicht transportieren.“

Morgen früh ist Personalversammlung für alle Mitarbeiter im AfSD. Hier geht es um die Hartz-Gesetze und was sie für das Amt bedeuten werden. Senatorin Karin Röpke (SPD) wird auch dabei sein. „Aber was soll die Senatorin schon sagen“, fragt Rendigs lakonisch, „außer: Wir wissen nicht, wie wir Hartz umsetzen.“

Sie wisse nur eins, so Rendigs weiter, „wir werden uns qualifizieren müssen. Dauernd.“ Das beginnt im Mai. Da sei ein Drittel ihrer MitarbeiterInnen zur Fortbildung abgeordnet. Es geht dabei um das neue Sozialgesetzbuch II, 600 Seiten Papier sind zu verstehen. „Glaubt ihr, dass wir das ohne Entlastung schaffen?“, fragt sie ihre Kollegen, und: „Ich sage: nein.“ Von wegen Entlastung, schon jetzt sei die Personalsituation mehr als angespannt. Bei rund 100 MitarbeiterInnen in allen Abteilungen des Sozialamts Walle/Findorff fehlen derzeit fünf bis sechs Stellen. „Damit wurde uns die Qualität unserer Arbeit entzogen“, sagt Abteilungsleiterin Granz. Zeit für ein persönliches Gespräch, für eine individuelle Hilfeplanung sei immer weniger.

Sehr viel Gewalt im Fuchsbau

Und dann das Haus. „Dieses Haus ist ein Fuchsbau“, sagt Wiebke Rendigs. Riesig, sechs Eingänge, unzählige Flure, durch die der Zigarettenrauch zieht. Mütter und Kinder, Straffällige, Drogenabhängige und Wohnungslose – sie alle warten gemeinsam auf ihren Sachbearbeiter, getrennt nur durch ein paar Ecken, um die sich die vielen Gänge winden. „Ich kann das nicht verantworten“, sagt Chefin Rendigs, „ich weiß nicht mehr, wie ich das Haus sichern soll.“ Denn „die letzten Wochen waren katastrophal, was Gewalt angeht.“ Das Haus gehört der landeseigenen Gesellschaft für Bremer Immobilien (GBI), und die tue – trotz angekündigter Sanierung – gar nichts, klagt Rendigs. Sie plädiert für eine bauliche Trennung der verschiedenen Bereiche, so dass die verschiedenen Kundengruppen tatsächlich unter sich bleiben. Eigentlich sei das Haus optimal, sagt Rendigs, aber es müsse etwas passieren. „Oder man holt uns hier raus.“Susanne Gieffers