Predigt zu den Konvertierten

Lasset die Globalisierungskritiker zu mir kommen: Der jamaikanische Sänger Max Romeo war in den Siebzigerjahren eine Ikone des Roots-Reggae. Sein Auftritt im rappelvollen Kesselhaus der Kulturbrauerei zeigte, dass er nichts an Ausstrahlungskraft und Gegenwärtigkeit verloren hat

Es könnte ja so einfach sein. Keine Kirche müsste mehr geschlossen, kein Pastor entlassen, kein Sozialdienst eingestellt werden: Die protestantische Kirche müsste einfach auf Reggae umstellen und sie wäre einen Großteil ihrer Sorgen los. Wenn man Dienstagabend im rappelvollen Kesselhaus der Kulturbrauerei herumstand, auf den Auftritt von Max Romeo wartete und der Vorband Ganjaman zuhörte, konnte einen diese Erkenntnis treffen wie ein Blitz.

Dabei machen Ganjaman nichts anderes, als die zentralen Themen des Roots-Reggae ins Deutsche zu übertragen: Das hat in seiner bei der Rastafari-Ideologie geborgten Ich-gegen-Sie-Grundkonstellation zwar etwas von Parallelgesellschaftsfundamentalismus, aber nichts wirklich Böses. Eigentlich geht es ja nur darum, endlich Marihuana zu legalisieren, zusammenzustehen, um eine bessere Welt möglich zu machen, und Babylon zu bekämpfen, will sagen den Materialismus. Da stand man und dachte sich, Ganjaman und seine Band würden sich auch prima als Konfirmationsunterrichtsausflugsleiter machen. Das ging bis in die Wortwahl hinein: Liebe war da eine „kleine Flamme“, die „stetig brennt“, Songs waren der „Erde“ und dem „heiligen Vater“ gewidmet.

Hatte man dies erst einmal verstanden, kam man aus dem Staunen kaum noch heraus. Reggae, so kam es einem auf einmal vor, dürfte die am besten funktionierende Subkultur Berlins sein – die einzige Musik, zu der Gemeinschaftskundelehrer und Gemeinschaftskundeschüler, Leute mit langen Haaren und Leute mit Haarausfall gleichermaßen gehen, Dreadlocks und Glatzen, Ossis und Wessis, Schwarze und Weiße, Männer und Frauen, Studenten und Lehrlinge. Vollkommen autark und doch für alle offen. Und so, wie das Publikum im Saal einem Querschnitt der Bevölkerung entsprach, so gleichmäßig verteilte es auch seinen Beifall. Ob Ganjaman, The Ethiopian oder Max Romeo – alle wurden gleich behandelt. Gibt es irgendeine andere Subkultur, die einen ihrer Heroen nur unwesentlich lauter beklatscht als die zwanzigjährigen Lokalmatadoren?

Max Romeo ist eine der großen Stimmen des Reggae der Siebzigerjahre. Nicht ganz in der Gregory-Isaacs-Liga, aber direkt drunter. In den späten Sechzigern begann er seine Karriere mit dem wunderbar obszönen „Wet Dream“, das verboten wurde, obwohl Romeo darauf bestand, das Stück handle von einer verregneten Nacht in einer Hütte mit löcherigem Dach. Doch das wollte so recht keiner glauben.

Im Zuge der bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen im Jamaika der frühen Siebziger wurde Romeo zum glühenden Sozialisten. All seine Klassiker wie „One Step Forward“, „War Inna Babylon“ oder „Chase The Devil“ entstanden vor diesem Hintergrund. Sie waren samt und sonders Produktionen des legendären Reggaeproduzenten Lee Perry. Irgendwann in den späten Siebzigern verkrachten sich die beiden jedoch – eine Trennung, von der sich Romeo niemals erholen sollte. Seitdem lebt er eigentlich im Schatten seiner Vergangenheit. Seiner Erscheinung auf der Bühne nach zu urteilen allerdings sehr gut.

Überhaupt war das Erstaunliche an diesem Abend im Kesselhaus der Kulturbrauerei, wie sehr diese Musik nach wie vor in der Gegenwart lebt. Natürlich wurden Romeos Klassiker ein wenig mehr bejubelt als das Material von seiner aktuellen Platte. Aber anders als bei jedem anderen Sänger, dessen große Zeit eigentlich schon 25 Jahre zurückliegt, war sein Auftritt von keinerlei nostalgischen Spuren durchzogen, wiegte sich das Publikum nie in Nostalgie, musste keine Übersetzungsleistung in die Gegenwart erbracht werden. Es war alles radikal gegenwärtig, spielte alles im Hier und Jetzt. Ob es die gemeinsame Protesthaltung war? Oder waren einfach nur alle stoned?

Dass die Band nicht wirklich tight spielte, machte so gesehen sogar Sinn. Die ganze Musik ist im Zuge ihrer Übersetzung vom Sound der Ghettos in den Sound einer mitteleuropäischen Subkultur einfach etwas in die Breite gegangen. Wirklich obszön ist hier nichts mehr. Und der Anteil von Frauen und Männern, die sich in die Kesselhalle begeben hatten, um sich abschleppen zu lassen, war trotzdem noch signifikant höher, als es sonst bei Konzerten üblich ist. Politisch militant ist hier auch nichts mehr. Aber gegen die Globalisierung, Nazis und die CDU sind natürlich trotzdem alle. TOBIAS RAPP