Wallende Kopftücher allenthalben

betr.: „Freiheit statt Kopftuch“, taz vom 11. 2. 04

Was Roggenkamp wie viele andere vehemente KopftuchverbotsfordererInnen ignoriert: Es gibt durchaus einen Unterschied, ob jemand das Kopftuch befürwortet oder dessen Verbot für kontraproduktiv hält. Das verfassungsrechtliche Problem ist klar: Wir können schlecht das Kopftuch als muslimisches Symbol verdammen und alle anderen Religionen ungeschoren lassen. Niemand hat das Recht, für eine konkrete muslimische Frau zu entscheiden, dass diese ihr Kopftuch nur gezwungenermaßen trägt. Das mag in vielen Fällen ja so sein. In vielen anderen dürfte es aber eher mit mangelnder Integration und der Flucht in alles Identitätsstiftende zu erklären sein.

Das pragmatische Argument gegen ein Verbot ist: Mit einem Kopftuchverbot werden viele betroffene Frauen aus dem öffentlichen Leben und zurück in ihre Abgeschiedenheit gedrängt; sie kochen wieder im eigenen Saft, der öffentlichen Diskussion entzogen. Aber wo blüht der Fundamentalismus? Im Ghetto. Warum haben eigentlich die VerbotsbefürworterInnen so große Angst, der Fundamentalismus könne ausgerechnet in einem offenen Diskurs neue AnhängerInnen finden? Das zeugt nun wirklich von sehr wenig demokratischem Selbstvertrauen. Roggenkamp zitiert Jutta Limbachs Äußerung: „Wir sollten darauf vertrauen, dass derjenige den Sieg davontragen wird, der die Freiheit nicht beschneidet.“ Aus diesem Vertrauen in das Scheitern der Fundamentalisten macht sie im nächsten Satz das genaue Gegenteil: das Vertrauen in die Fundamentalisten selbst. Das ist absurd.

Genauso absurd, wie jetzt den Tschador, das Abhacken roter Fingernägel und die Teilnahme am Sexualkunde- und Sportunterricht zu beschwören. Über den repressiven Charakter des Tschadors brauchen wir nicht zu streiten. Unterrichtsbefreiungen wurden letztens gerichtlich abgelehnt, und das ist gut so. Was Not tut, ist mehr und nicht weniger Integration. Der Fundamentalismus kann durch Verbote genauso wenig besiegt werden wie durch militärische Gewalt, sondern allein durch ein überzeugend gelebtes Gegenmodell.

Ich habe an der Landesmitgliederversammlung der hessischen Grünen teilgenommen, bei der über dieses Thema abgestimmt wurde. Wenn es Frau Roggenkamp beruhigt: Es war eine engagiert geführte, kontroverse Diskussion mit einem ziemlich knappen Abstimmungsergebnis. Das allerdings wegen des aktuellen, eindeutig verfassungswidrigen Gesetzentwurfs der hessischen CDU ohnehin an Bedeutung verloren hat. TOBIAS HERP, Frankfurt/Main

betr.: „Für Neutralität in der Schule“ (Offener Brief), „Ist ein Berufsverbot ein Schutz?“, LeserInnenbriefe, taz vom 14. 2. 04

Gefreut habe ich mich heute über die Meinungsbeiträge zur Diskussion über ein Kopftuchverbot in Deutschland. Sowohl der offene Brief als auch die LeserInnenbriefe gingen über das Niveau hinaus, das leider immer wieder auch in der taz vorzufinden ist. […]

Was mir allerdings weiterhin fehlt, ist eine Diskussion über die angebliche Neutralität der Schulen. Die meisten Beiträge, fordern sie nun ein Verbot oder das Unterlassen eines solchen, sind der Ansicht, dass Kindern weltanschauliche und religiöse Neutralität in der Schule gezeigt werden müsse. Daraus folgern die einen, dass man daher LehrerInnen das Tragen von Kopftüchern (und am besten den Schülerinnen auch) verbieten müsse, die anderen meinen, dass gerade deshalb es zulässig sein müsse, religiöse Symbole zu tragen, weil sonst unzulässig in die religiöse Freiheit eingegriffen werde.

Die Idee der weltanschaulichen Neutralität von LehrerInnen und dem deutschen Schulsystem ist lächerlich. Kann man ernsthaft von LehrerInnen erwarten, ihre Meinungen im Klassenzimmer auszublenden? Nein, das kann von niemandem erwartet werden. Wenn man darüber nachdenkt, will man es auch nicht: Natürlich geht es in der Schule darum, Kindern Werte zu vermitteln – und wenn die SchülerInnen diese Werte nicht annehmen, dann gibt es eine Reihe von Instrumenten, sie dazu zu zwingen. Der Inhalt dieser Werte ist umstritten; ein einigermaßen breiter Konsens scheint hier hinsichtlich der Akzeptanz demokratischer Spielregeln zu gelten, die übrigens auch den manchmal gar nicht so geliebten Kapitalismus beinhalten. Es stellt sich die Frage, wieso dann trotzdem mit Neutralität argumentiert wird. Scheinbar ist der eigene Anspruch, anderen zu sagen, wie sie zu leben haben, so unerträglich, dass er verschwiegen werden muss; an seine Stelle treten scheinbar allgemein geteilte Maßstäbe wie Neutralität, Pluralismus oder Freiheit über alles. Es sollte in dieser Debatte mehr darüber nachgedacht werden, wie mit der sowieso vorhandenen Position/Haltung von LehrerInnen (als KopftuchträgerIn, PDS-WählerIn oder als WeißeR) umgegangen werden kann, anstatt diese Position ständig zu negieren.

THOMAS RIESKE, Berlin

Wallende Kopftücher allenthalben. Langsam gehen sich auch Frauen untereinander an die (Kopf-)Wäsche. Doch muss der Einwurf der Fraueninitiative von E. Abendroth bis H. Zilelioglu-Porenski zu denken geben. Hier ist das Anliegen wahrhaftiger und authentischer als bei einem bayerischen Innenminister. Und dennoch wird die Diskussion pro und kontra Kopftuchverbot von allen Seiten sehr glaubenskriegerisch geführt. […]

Wichtig ist doch, dass wir in der Öffentlichkeit, auf den Straßen, in Diskussionen dafür einstehen, dass diese reaktionäre Denke, die häufig unter und hinter den Kopftüchern steckt, desavouiert wird; dass es denen, die diese Denke verbreiten wollen, so ungemütlich wird, dass sie sich damit in die Privatheit zurückziehen, die ihnen gerne gestattet sei.

Und bei einer Verbots-Befürwortung betrachte man sich genau die „Kampfgenossen“. Ausgerechnet der bayerische Innenminister gehört dazu, der den staatlichen Stellen vorsteht, die beispielsweise vor Jahren die iranischen Exilantinnen Nosrat Haj Soltani und Sahar Matochi mit Gewalt in Kopftücher zwangen, um ihnen Ausweisungspapiere zu verpassen, die von iranischen Behörden akzeptiert würden. Mit solchen Leuten soll man ein Kopftuchverbot installieren? Und, um die Uneindeutigkeit des Symbols „Kopftuch“ noch zu erhöhen, ein Aperçu aus jüngsten Reisen in die arabische Welt. In Internetcafés traf ich wiederholt auf junge, kompetente Frauen, die den Service an den Geräten machten. Wahrlich eine moderne Berufsorientierung. Ihre Kleidung: Körperschleier. […]

TILMAN LENSSEN-ERZ, Köln

Die Redaktion behält sich Abdruck und Kürzen von LeserInnenbriefen vor. Die erscheinenden Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.