Erschreckend konsequente Politik

Die Attentate vom 11. September 2001 wurden von der US-Regierung billigend in Kauf genommen, um geopolitische Machtinteressen durchzusetzen, meint Nafeez M. Ahmed. Die Lektüre seines Buches ist ein deprimierendes Vergnügen

Ahmeds Quellen sind seriös, und seine Schreibe ist angenehm unaufgeregt

Dass der Krieg gegen den Irak eine von langer Hand geplante Folge der Ereignisse vom 11. September ist, hätte man fast vergessen können, weil ja zuletzt überhaupt nicht mehr vom internationalen Terrorismus die Rede war. Doch schon am 12. September fiel gleich im Zusammenhang mit Bin Laden der Name Saddam. Irak war eben die offen gebliebene Wunde, die der Sohn nun für den Vater schließt.

Nur: Schon Zbigniew Brzezinski, einst Nationaler Sicherheitsberater von Jimmy Carter, warnte 1997 in seinem Buch „Die einzige Weltmacht“ davor, Länder wie Iran, Irak oder Libyen zu dämonisieren, ohne eine langfristige Strategie zu entwickeln. Dass diese offenbar entwickelt wurde, behauptet Nafeez M. Ahmed in seinem Buch „Geheimsache 09/11“. Seine These gleicht dem Schluss, zu dem nahezu alle Skeptiker der offiziellen Verlautbarungen über den New Yorker und Washingtoner Anschlag im September 2001 kommen: Diese Attentate wurden von den Regierungsverantwortlichen billigend in Kauf genommen, um geopolitische Machtinteressen besser durchzusetzen. Trotz mehrfacher Warnungen verschiedenster Stellen wurden sie nicht verhindert. Denn: Das alte „New Worldorder“-Projekt von George Bush senior soll im neuen Jahrtausend von seinem Sohn George W. endgültig festgeklopft und durchgesetzt werden.

Der Autor ist Engländer und leitet das Institute for Policy Research and Development, einen unabhängigen und interdisziplinär arbeitenden Thinktank, der sich mit Politik, Philosophie und Religion beschäftigt.

Nafeez M. Ahmed beginnt sein Buch mit der jüngsten Geschichte Afghanistans, wie sich die damaligen beiden Supermächte USA und die Sowjetunion mit dem Staatsstreich von 1978 in die inneren Angelegenheiten des Landes mischten.

Laut Zbigniew Brzezinski hatte es bereits vor der russischen Invasion amerikanische Unterstützung für die antikommunistischen Mudschaheddin gegeben, um so die Russen in eine afghanische Falle zu locken. Als die Sowjetunion tatsächlich hereintappte und im Dezember 1979 das Nachbarland besetzte, flüchteten hochrangige Generäle, Politiker und Techniker nach Pakistan, um von dort aus den Widerstand gegen die Rote Armee zu organisieren, die sich in den folgenden Jahren in Afghanistan marode kämpfte.

Die Exilierten wurden währenddessen von den Amerikanern unterstützt. Einerseits verfolgten die USA damit hoch eigene, wirtschaftliche und strategische Interessen, andererseits versprachen sie den Pakistanern, Afghanistan zu Pakistans Satelliten zu machen. Amerikanischer und pakistanischer Geheimdienst bildeten fürderhin die afghanischen Rebellen großzügig mit militärischen Kenntnissen und Ideologie aus. So weit, so bekannt.

Ahmed führt nun aus, dass lange vor den Anschlägen des 11. September bereits militärische Pläne für eine weltweite Vorherrschaft der USA existiert haben, die im Wesentlichen von Dick Cheney, Donald Rumsfeld, Paul Wolfowitz und Colin Powell stammten und eine Art variablen und immer weiter zu entwickelnden Zehnjahresplan beinhalteten. So habe 1993 der damalige Verteidigungsminister Cheney die „Defense Strategy for the 1990s“ veröffentlicht und das Pentagon eine Gruppe von Experten zu einer 150.000-Dollar-Untersuchung darüber beauftragt, ob man ein Flugzeug als Bombe auf nationale Wahrzeichen stürzen lassen könne. 1993 gab es auch den ersten Anschlag auf das World Trade Center. Im Jahr darauf wurde dreimal versucht, ein Flugzeug auf Gebäude stürzen zu lassen, etwa auf das Weiße Haus oder den Eiffelturm.

Akribisch listet Ahmed Fakt an Fakt und Kommentar an Kommentar. Immer wieder kommt er auf die Lage in Afghanistan zurück und auf die vermeintliche Befreiung, die dort stattgefunden habe – und beweist immer wieder, dass sich dort lediglich in Kabul etwas verändert hat; dass die Situation der Frauen überall woanders nach wie vor katastrophal ist, dass Regierungschef Karsai trotz aller Dementis jahrelanger Berater der amerikanischen Unocal war. Sie werde die Führung beim Bau der geplanten Öl- und Gaspipeline übernehmen, die jährlich 30 Milliarden Kubikmeter turkmenisches Gas auf den Weltmarkt bringen könnte. Von Plänen für eine fast 1.700 Kilometer lange zentralasiatische Ölpipeline ist ebenfalls die Rede.

Tenor dieses Buches, das man vom unhysterischen Ton her nicht unbedingt als ein typisches Beispiel der diversen Verschwörungsschmöker bezeichnen kann, ist also nicht nur, dass die amerikanische Regierung vorgewarnt war, sondern möglicherweise absichtlich nicht reagiert habe, um einen Vorwand für die Konsolidierung des militärisch-industriellen Komplexes in den USA zu schaffen. Beispiele – angefangen vom Massaker von Boston 1770 über den Mexikanisch-Amerikanischen Krieg bis zu Pearl Harbour – sollen die These stützen, dass US-Regierungen schon immer eine solche Politik systematisch betrieben haben.

Nafeez M. Ahmed befindet sich dennoch in bester verschwörungstheoretischer Gesellschaft, aber schließlich: Wer ist das heutzutage nicht, wo wir wenigstens schon alle antiamerikanistisch, wenn nicht gleich sofort auch antisemitisch sind? Ihn unterscheidet jedoch, abgesehen von seiner gelassenen und nüchternen Schreibe: die Seriosität seiner Quellen. Washington Post, New York Times, New Yorker, Independent, Guardian oder BBC werden in seinem Buch zitiert, und das macht die Lektüre zu einem zweifelhaften, weil ziemlich deprimierenden Vergnügen, weshalb ich dieses Buch nur häppchenweise genießen konnte und fast einen Monat gebraucht habe, um es auszulesen. Für Gore Vidal war es das erschütterndste Buch mit der besten Analyse über den 11. September, und man ist resigniert geneigt, ihm Recht zu geben.

RENÉE ZUCKER

Nafeez M. Ahmed: „Geheimsache 09/11. Hintergründe über den 11. September und die Logik amerikanischer Machtpolitik“. 500 Seiten, Riemann Verlag, München 2003, 24 €