„Lehrstellen-Abgabe zweitbeste Lösung“

Professor Bernhard Nagel: Die Bundesregierung soll nur dann für mehr Lehrstellen sorgen, wenn die Tarifparteien es nicht selbst schaffen. Die Wirtschaft brauche sowohl mehr Facharbeiter als auch mehr hoch qualifizierte Akademiker

INTERVIEW HANNES KOCH

taz: Mit der Ausbildungsplatzabgabe will die Bundesregierung die Zahl der Lehrstellen vergrößern. Wie passt die Förderung einfacher Tätigkeiten zum angeblichen Trend in die Wissensgesellschaft, die höhere Qualifikationen verlangt?

Bernhard Nagel: Die Zahl der Ausbildungsplätze im dualen System ist zu stark zurückgegangen. Wir brauchen wieder ein Gleichgewicht zwischen der praxisorientierten Lehre und der eher theoretisch angelegten Hochschulausbildung.

Allenthalben heißt es, Deutschland bilde zu wenige Akademiker aus, um in der globalen Informationsökonomie bestehen zu können. Soll man nicht das knappe Geld lieber dafür verwenden, statt noch mehr jungen Menschen das Feilen von Metallstücken beizubringen?

Man darf nicht nur das eine oder das andere, man muss beides tun. Auch die Zahl der Lehrstellen muss wieder zunehmen. Sonst können wir vielen Hauptschülern und Kindern von Emigranten keine Perspektive bieten. Mehr Studienplätze bringen für viele aus diesen Zielgruppen nichts.

Wenn mehr Leute an die Unis gingen, müssten doch Lehrstellen frei werden. Warum dann noch zusätzliche Anstrengungen, ihre Zahl zu steigern?

Eine Verlagerung reicht nicht. Denn wir haben eine Mangelsituation in beiden Bereichen, eine Unterversorgung. Die Hochschulen sind überfüllt und gleichzeitig gibt es zu wenige Lehrstellen. Diese Situation spiegelt sich in der Wirtschaft: Die Unternehmen suchen einerseits Facharbeiter und Techniker, andererseits aber auch Akademiker.

Was halten Sie von der Idee der Bundesregierung, eine Abgabe für die Firmen einzuführen, die keine Lehrstellen anbieten?

Das wäre nur die zweitbeste Lösung. Eigentlich müssten sich die Tarifparteien einigen. Industrieverbände und Gewerkschaften wissen viel besser als die Regierung, wo wie viele Stellen gebraucht werden.

Sie sind eigentlich gegen die Abgabe?

Nein, die Abgabe ist notwendig als Druckmittel, damit Arbeitgeber und Arbeitnehmer zueinander finden. Ich bin für eine flexible Lösung: Mit der Ausbildungsplatzabgabe finanziert der Staat einen Fonds, um Lehrstellen zu schaffen. Dieser Fonds kommt aber nur zum Tragen, wenn sich die Tarifparteien nicht einigen. Die chemische Industrie hat im Übrigen schon beschlossen, die Zahl der Lehrstellen um 1,7 Prozent anzuheben.

Wenn die Tarifparteien weiter streiten – was sollte der Staat mit dem Geld aus dem Fonds machen?

Der Staat könnte eigene Ausbildungsstätten finanzieren oder die Betriebe subventionieren, die Lehrstellen einrichten.