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: Gut Ding will Weile haben: „Wurzeln & Flügel“, das Debütalbum der HipHopperin Pyranja

Ein Schiss auf den Markt

„Was lange währt, wird endlich gut“ ist ein Sprichwort, das im Musikgeschäft garantiert nicht gültig ist. Pyranja, gebürtige Rostockerin, seit mehr als vier Jahren in Berlin und schon länger gehandelt als eine der talentiertesten Rapperinnen hierzulande, nahm sich zwangsläufig sehr viel mehr Zeit, als sie wollte, bis schließlich ihr Debütalbum „Wurzeln & Flügeln“ doch noch das Licht der Öffentlichkeit erblicken konnte.

Bereits eine erste EP konnte Ende der Neunzigerjahre wegen Problemen mit ihrem damaligen Label Beastside nie erscheinen. 2000 gehörte sie dann zu den allerersten Acts, die das damals hoffnungsvoll und mit Unterstützung eines großen Konzerns gestartete Label Def Jam Germany verpflichtete. Man wollte seine Künstler entgegen sonstiger Major-Gepflogenheiten langsam aufbauen. Nach einigen Maxi-Singles und Gastauftritten war das Album aufgenommen und abgemischt, die ersten Promo-CDs bereits unterwegs, der Videoclip abgedreht, als Def Jam Germany vom Mutterkonzern abgewickelt wurde und Pyranja schlagartig ohne Plattenfirma dastand. Zu dem Zeitpunkt war deutscher HipHop längst kommerziell erledigt. Nun endlich, ein gutes Jahr nach Fertigstellung, hat sich deutschsprachiger Rap immer noch nicht erholt, aber Pyranjas Debüt ist doch noch erschienen bei einem kleinen Indie-Label.

So klingt mancher ihrer Raps heute fast schon verzweifelt: „Ich mach’ mein Album, als wär’s das Letzte, was mir bliebe.“

Nun gehörten zu den vornehmsten Aufgaben von HipHop schon immer Identitätsfindung und Selbstbehauptung, wiewohl „Wurzeln & Flügel“ gerade in diesen trüben Zeiten seine Berechtigung hat. Diese Platte ist trotz einiger weniger eingängiger Frauen-Soul-Chöre, trotz des Emanzipationspäckchens, das jede Frau in diesem Geschäft zu tragen hat, vor allem eins: ein klassisches HipHop-Album, das zuvorderst von HipHop berichtet. Dazu werden die einschlägigen Subsparten des Genres bedient: Mit dabei sind der Ich-habe-die-tollsten-Reime-Track („Verteidigung und Angriff“), der Ich-kann-nicht-anders-als-HipHop-leben-Track („Reine Nervensache“), der Ich-und-meine-Kumpels-Track („Wer wir sind“ mit Curse & ItaloReno), der Ich-als-Frau-im-Rap-Business-Track im Duett mit Fiva MC („Egal was ihr sagt“) und der unvermeidliche Wir-feiern-eine-HipHop-Party-Track („Happy Hour“).

Aber Pyranja kann auch anders. Wenn sie sich wegbewegt vom Reden über Rap, dann sogar weiter weg als die meisten ihrer Kolleginnen und Kollegen: Mal beschwört sie Verbundenheit mit der alten Heimat („Rostock“), mal die Schönheit der Natur („4 Elemente“). Sie wagt sogar das Liebeslied, das sie wegen der allgemeinen Erwartungshaltung eigentlich nie hatte schreiben wollen („Erweiterte Suche“). Schließlich beschreibt sie im programmatischen „Frag nicht“ ihren pragmatischen Feminismus – mutig in einer Szene, in der Frauen immer noch marginalisiert werden und sich oft genug genötigt sehen, ihr Frausein demonstrativ nicht zu thematisieren.

Was lange währte, wurde also schließlich gut. Sehr gut sogar. Das Problem bleibt nur: Es währte wohl zu lange. „Ich scheiß auf den Markt“, rappt Pyranja, aber notgedrungen hallt es hohl wie eine Durchhalteparole. THOMAS WINKLER

Pyranja: „Wurzeln & Flügel“ (Dackel Enterprise/SPV)