„Mit uns können Sie rechnen!“

Ramona K. hat manchmal lange mit Kollegen debattiert, ob ein Kunde eine EC-Karte bekommt, Stunden als Empfangsmanagerin vor sich hingestarrt und ist irgendwann nur noch zu spät gekommen. Ramona K. war neun Jahre Angestellte der Berliner Sparkasse. Die Geschichte einer Kaderentwicklung

„Ich brauchte ein Jahr, um nach 2.500 Sparkassentagen wieder zu atmen“

von HELMUT HÖGE

„Bildet sich in diesem Sparkassenland ein ‚kollektives Subjekt‘?“ (Peter Brückner)

„Neun Jahre habe ich den Job ausgehalten. Zum Schluss war ich allerdings immer öfter krankgeschrieben. Über jeden Schnupfen habe ich mich gefreut“, sagt Ramona K. über ihre Zeit bei der Sparkasse. Die heute 30-Jährige wollte eigentlich Außenhandelskauffrau werden, aber der VEB Außenhandelsbetrieb für Elektrotechnik am Alexanderplatz, wo sie eine Zusage hatte, ging bereits im Sommer 1990 davon aus, dass er nicht mehr lange existieren würde. Deswegen reichte er ihre Bewerbung einfach an die Sparkasse weiter – schräg gegenüber. Von dort schrieb man ihr, sie solle einen Lehrvertrag unterschreiben. Das tat sie dann auch: „Obwohl ich mir überhaupt nicht vorstellen konnte, was da auf mich zukam.“

Am 1. September fing sie in einer Filiale in Marzahn an. Dort war damals schwer was los: „Da standen schon morgens um acht 100 Leute vor der Tür und warteten darauf, dass wir um neun aufmachten.“

Nach einem Jahr wurde Ramona in eine Ku’damm-Filiale versetzt. Hier fing sie neben dem Einsortieren von Kontoauszügen an, sich durch die „Arbeitsanweisungen“, mit denen sämtliche Bankvorgänge geregelt werden, zu lesen: 14 dicke Aktenordner. „Und dann habe ich auch meine ersten Sparverträge verkauft.“ Ihre Gruppenleiterin im Servicebereich verbrachte ganze Tage damit, die Termingelder zu verwalten: „Ich durfte ihr helfen – indem ich die Bestätigungsschreiben in Umschläge steckte. Weil ich ja noch Azubi war, las sie mir die diesbezügliche Arbeitsanweisung in voller Länge vor.“

Ramona dachte, dass es jede Menge Wissen bräuchte, um den Kunden beraten zu können. Aber sie irrte sich: „Im Prinzip waren es aber immer nur fünf Produkte: Spar- und Girokonten, Kredite, Bausparverträge, Versicherungen und Investmentfonds.“ Irgendwann wurde ihr auch klar, dass man gar keine große Ahnung haben musste. „Stattdessen haben wir manchmal eine halbe Stunde darüber diskutiert, ob jemand eine EC-Karte bekommt.“ Als die Bank noch nicht mit dem Slogan „Mit uns können Sie rechnen!“ warb, kam ein Kunde, der sein Konto auflösen wollte. Nach dem Grund gefragt, sagte er: „Sie kennen doch die Sparkassen-Reklame, in der ein Discjockey eine Platte auflegt? Darunter steht: ‚Würden Sie ihm etwa Ihre Kreditkarte geben? Wir schon!‘ Dieser Typ, das bin ich.“ Unverständlicherweise hatte er nie eine Karte bekommen.

Bis heute weiß Ramona nicht, wer ihr Arbeitgeber war, weil die Briefe von der Personalabteilung als Absender mal die Sparkasse, mal die Landesbank und mal die Bankgesellschaft trugen. „Eigentlich haben die Sparkassen einen öffentlichen Auftrag: nämlich den kleinen Mann zum Sparen zu ermuntern und sein Geld zu verwalten. Indem man die Sparkasse mit allen möglichen Kreditinstituten unter einer Holding zusammengepackt und in eine AG umgewandelt hatte, durfte irgendwann auch der kleine Sparkassen-Banker stolz Aktien der eigenen Firma verkaufen. Girokonten waren ab da nur noch Kleinkram. Ich wurde gerügt, wenn ich einen Kunden, der ein Konto eröffnen wollte, eine halbe Stunde lang beraten – und ihm dabei nicht mindestens ein Sparbuch verkauft hatte.“ Bei Investmentfonds, von denen es hunderte gibt, war es so: „Wenn man einmal begriffen hatte, wie die funktionieren, dann hat fast jeder seine drei oder vier Favoriten im Dauerangebot gehabt und jedem Interessenten im Prinzip dasselbe erzählt.“

Zwar versprach die Sparkasse immer mehr Dienst am Kunden, gleichzeitig wurden aber mit der Einführung von Telefon- und Internetbanking – über aggressive Werbung – die Leute geradezu genötigt, ihre Bankgeschäfte selbst zu erledigen. Bald kam niemand mehr in die Filiale, „dem wir unsere ‚individuelle Vermögensberatung‘ angedeihen lassen konnten“. Dagegen wurde ein tolles Mittel entwickelt: „Wir bekamen lange Computerlisten aus der Zentrale mit Kundendaten, um telefonisch z. B. Bausparverträge zu verkaufen.“ Im nächsten Monat war es ein anderes, topindividuelles Produkt – oft für dieselben Kunden: etwa Lebensversicherungen. „Mir war es unangenehm, diese armen Menschen abends zu Hause zu belästigen. Deswegen hab ich die Listen einfach so ausgefüllt: ‚Kunde will nicht‘ oder ‚Kunde hat schon‘. Irgendwann hatte ich so gut wie keine realen Kunden mehr – und nichts zu tun.“

Ramona bewarb sich schließlich für die neue Filiale in den „Potsdamer Platz Arkaden“. „Aber da habe ich mich richtig gelangweilt.“ Hin und wieder musste der Empfangsmanager an seinem kleinen Pult abgelöst werden: „Das war der entwürdigendste Job, den wir hatten. Man hatte nichts zu tun und wurde wie ein Affe im Zoo angegafft. Ich befürchtete wirklich, dass man mir Bananen zusteckt, und brachte ein Schild ‚Füttern verboten‘ an. Mein Chef fand das weniger lustig.“

Im Servicebereich gab es jedoch auch kaum was zu tun. Nur manchmal gab jemand eine Überweisung ab, auf die sich dann vier Angestellte stürzten. „Einmal sortierte ich aus lauter Verzweiflung tagelang irgendwelche Listen nach Datum – vorschriftsmäßig, aber völlig unwichtig. Als ich fertig war, bin ich zum Friseur gegangen.“

Zuletzt hatte Ramona gleitende Arbeitszeit. Sie kam ein Jahr lang täglich eine Stunde zu spät, so dass sich ein „irres Defizit“ auf ihrem Zeitkonto ansammelte. Es war aber unmöglich, die Unterstunden abends abzubauen, weil es nichts zu tun gab. „Wenn wir abends trotzdem mal länger beisammensaßen, wurde es plötzlich um 22 Uhr ruhig: Die Klimaanlage hatte sich ausgeschaltet. Da merkte man erst, in was für einem Lärm wir täglich arbeiten mussten: ein subtiles Rauschen, das einen auf Dauer paralysierte.“

Einmal in der Woche fand eine Mitarbeiter-„Besprechung“ statt, die Ramona fatal an alte Pionierversammlungen erinnerte: „Es wurde da alles besprochen, was jeder schon wusste. Wir wurden z. B. belehrt, dass wir ab morgen alle ganz freundlich zu sein hatten, weil wir nämlich jetzt ein modernes Dienstleistungsunternehmen wären. Wir waren aber auch vorher schon alle ganz freundlich – sowohl zu den Kunden als auch untereinander. Bis hin zum Chef, dem es z. B. fürchterlich Leid tat, als er mich wegen meines ständigen Zuspätkommens zur Abmahnung bei der Personalabteilung melden musste. Fast musste ich ihn anschließend noch trösten.“

Ramona bekam einen Termin, um ihre Arbeitseinstellung zu besprechen. Sie ging davon aus, dass die Sparkasse sie nun endlich rausschmeißen würde – und sie vielleicht eine Abfindung bekäme. Daher bemühte sie einen Vertreter des Personalrates dorthin. Vier hoch bezahlte Damen und Herren erklärten ihr dann nur – wenn auch mit erhobenem Zeigefinger –, dass sie mit ihrem Verhalten den Betriebsablauf störe und sich das ändern müsse. Sonst könne sie in ihre Filiale zurückkehren. „Diese Vorstellung war so schrecklich, dass ich spontan selber kündigte. Man machte mir daraufhin einen wohlwollenden Auflösungsvertrag – und zwei Tage später war ich endlich frei! Ein ganzes Jahr brauchte ich – in Arbeitslosigkeit – um nach 2.500 Sparkassentagen wieder richtig zu atmen.“