Allein gegen die Wolke

Das verachtenswerte Himmelsgebilde verdient nichts anderes als Beschimpfungen

Die Wolke glaubt, man könne ihr nichts tun, sie sei unantastbar, ja unangreifbar

Was eigentlich bilden sich diese Wolken ein? Was bilden sich diese Dinger, Wolken genannt, eigentlich ein, wenn sie am Sonntagnachmittag, da die Sonne scheint, um das Gemüt des Menschen aufzuhellen, geschwind mal „aufziehen“, wie man sagt, und dann stehen bleiben, als sei der Himmel eine Bushaltestelle? Wenn sie am Himmel verharren, kleben am Passepartout der Welt, wenn sie da rumklumpen und in größter Geselligkeit herumkumpeln und hie und da vielleicht ein wenig herumhumpeln, aber sich keinesfalls verfügen, irgendwohin, weiß der Kuckuck, an den nächsten Horizont oder ins nächste Universum. Was wollen die Wolken, wenn sie so unschicklich sich anschicken und sich selbst, ja selbstherrlich herbeischicken, denn dann? Was, weniger wolkig gemutmaßt, wollen Wolken per se? Was, endlich in medias res gefragt, denken die sich eigentlich dabei?

Es ist dies in toto ein durchaus schwieriges Problem und doch auf der Hand liegend klares Phänomen. Die Wolke glaubt, man könne ihr nichts tun. Sie glaubt, sie sei unantastbar, ja unangreifbar, weil nicht greifbar. Weil so weit weg, dass sie unerreichbar sei. Dem Menschen so fern wie dem Hund der gepflegte Gedanke an einen Brokkoliteller mit Tomatensauce.

Da allerdings hat sich die Wolke praktisch schon einmal vorderhand geschnitten. Zwar ist der Mensch noch nicht mit aller Konsequenz gegen die Wolke eingeschritten, aber der Sowjet hat sie, die Wolke, schon einmal bezwungen und durch Sprühnebel aus Flugzeugen prophylaktisch und zur Warnung an alle vertrieben. Zu Recht. Voll und ganz im Sinne des internationalen Rechts und der Menschenrechte auf ein Leben ohne die Wolke. Am, zumal, Sonntagnachmittag.

Langsam, aufreizend langsam und lässig zieht sie heran, von links, vermutlich aus dem Westen, zuckelt sie herzu, den lebens- und lustspendenden Feuerball bald zu verschlucken, zu verschlingen in einem Gewölk und Gewölle aus atmosphärischen Polaritäten und „spezifischen Ladungsverteilungen“. Schon dieser erster Annäherungsversuch, dem der unwiderrufliche Angriff auf die Sonne folgen wird, schon dieses heimtückisch langsame Herantasten und eigentlich Heranwanzen ist, wie Sonnenforscherin Amra T. verbittert bemerkt, „relativ unverzeihlich“.

Schon der Grieche, dem wir alles verdanken, die Entdeckung des Geistes, unserer Einzelsubjektwürde und so weiter, schätzte die Wolke nicht. Aristophanes feuerte seine spöttischen Blitze per Drama gegen die Wolken ab, und sein Nachfolger, der Trierer Karl Marx, verhöhnte die „Wolkenbildung“ („Deutsche Ideologie“) in Philosophie und Meteorologie. Das hat sich die Wolke naturgemäß nicht zu Herzen genommen, weil sie meint, sie müsse sich nicht bilden. Nein, sie muss sich nur bilden und mit ihrem fetten, flaumig-quillenden Arsch auf die Sonne hocken und dann ordentlich dicke tun.

Insbesondere als einzelne Wolke beweist die Wolke ausgesprochene Selbstherrlichkeit. Als einzige Wolke weit und breit sucht diese einzige Wolke am Sonntagnachmittag den Menschen auf und über einer Terrasse heim, hohnvoll-huldmütig strotzend feist und dreist am Firmament wie eine Qualle so quälend quarkig-breit wie nicht mal Helmut Kohl oder ein zertretener Bubblegum auf dem Trottoir.

Dieses tintige, am Rande verlockend, aber nur verlogen ausfransende Gekleckse; dieses tuntige Herumgefläze vor der, vor unserer Sonne; dieses falsche Farbenspiel aus Gelbmilch und Flockenweiß und zehrendstem Ultradumm-Marin – jetzt streckt sie, diese weit und sehr breit einzige Wolke, sich noch mal etwas genüsslicher und ächzender und nahezu jauchzend erhabener nach rechts, ruckelt kurz nach links, der schwachen Sonne doch einen Spalt zu gönnen, um alsgleich rechts wieder boshaft die Schotten zu schließen und abermals dicker, fladenförmiger sich zu drücken auf den zerschmelzenden Sonnenball, ihn zu zerdrücken und die Sonnenseele zu quetschen.

Laut dem Wolkenklassifikator Kilinski ist die Wolke an sich mitunter „andersherum gepolt“. Die Sonnenforscherin Amra T. wählt deutlichere Worte: „Es geht mir meistens so, dass ich diese Wolken gern zusammenschlagen würde.“ Das hätte sie wahrlich verdient, die Wolke.

JÜRGEN ROTH