Der Himmel über Berlin

Wenn es ein Privileg der Künstler ist, mehr und besser zu sehen als der Mensch, der einfach nur ins Büro geht, dann liegt das manchmal einfach daran, dass sie Zugang zu Orten haben, die unsereinem versperrt sind. Trotzdem tun sich auch Künstler und Künstlerinnen manchmal schwer auf dem Weg zur besseren Erkenntnis. Was dann auch gerne Thema der Kunst wird. Holly Zausner, die New Yorker Künstlerin, die seit mehreren Jahren in Berlin lebt, hat sich für diesen Weg Begleitung geschaffen: neongelbe, -grüne, -blaue oder -rote Plastiken; aus schwerem, aber flexiblem Silikon gegossene Männer- und Frauenkörper, deren wahrhaft extreme Extremitäten nicht enden wollen. Die langen, dünnen Arme gehen umstandslos in die langen Beine über oder, je nach Blickwinkel, umgekehrt. Die disproportionierten, verblüffenden Körperplastiken bilden niemals endende, trotzdem durchaus endliche Figuren mit wiederum unendlichen Variationsmöglichkeiten, die Holly Zausner sämtlich durchzuexerzieren scheint, wenn sie die Körper entgegen der Schwerkraft in die Luft schleudert. Am stärksten wirkt die Entfaltung der Skulptur natürlich gegen den Himmel – und wo wäre man dem Himmel näher als auf einem Dach? Das Spiel mit den in Bewegung gesetzten Skulpturen hat Holly Zausner also in Berlin Zugang zu Orten verschafft, die gemeinhin unzugänglich sind: zum Dach der Neuen Nationalgalerie, zum Dach des DAAD-Gebäudes am Gendarmenmarkt. Sie stand auf dem Dach des Kronprinzenpalais und des Zeughauses, des Kaufhofs am Alexanderplatz, der Landesbibliothek am Schlossplatz und schließlich auch auf dem Dach der Berliner Zeitung. Holly Zausner hat ihre Performances in ihrem knapp 6 Minuten langen 35-mm-Farbfilm „The beginning …“ festgehalten. Die Filmstills mit den verblüffenden Perspektiven, die sich über den Dächern von Berlin ergeben: hier, auf dieser Seite, als verspätete Osterüberraschung. wbg