DER FALL STANISLAW TILLICH LEGT DIE LEBENSLÜGE DER OST-CDU OFFEN
: Die Partei der Angepassten

Diese Debatte hätte sich die CDU ersparen können. Grundsätzlich war die regimenahe DDR-Vergangenheit des sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich ja längst bekannt. Doch nun rückt sie plötzlich wieder in den Fokus, weil die Christdemokraten auf ihrem bevorstehenden Bundesparteitag erneut auf harschen Konfrontationskurs zur Linkspartei gehen wollen – und dabei die eigene Rolle im SED-Staat völlig ausblenden.

Das Problem wird mit wachsendem zeitlichen Abstand nicht etwa kleiner, sondern sogar größer. Die unbelasteten Aufbauhelfer aus dem Westen sind überall abgetreten. In vier von fünf östlichen Bundesländern amtieren Landesvorsitzende, die einst bereits einer DDR-Blockpartei angehörten. Eines haben die betroffenen Christdemokraten bei allen Unterschieden gemein: Sie wollten in der DDR Karriere machen und verharrten keineswegs in jener strikten Opposition zum Regime, die sich die CDU als Partei heute gern andichtet.

Auf dieser Fähigkeit zu Dialektik und Opportunismus beruhten bislang die ostdeutschen Erfolge der Partei. Anders als Grüne und SPD, die sich zu ihrem eigenen Schaden von allen SED-Mitläufern scharf abgrenzten, nahm die CDU ehemalige Funktionsträger bereitwillig auf und bekundete so den vielbeschworenen Respekt vor DDR-Biografien. Anders als die PDS bot sie ihren Wählern aber zugleich das beruhigende Gefühl, in den neuen Verhältnissen angekommen zu sein.

Dass dieser Widerspruch stets unausgesprochen blieb, trug viel zum muffigen Charakter manches ostdeutschen CDU-Verbands bei – ganz ähnlich wie einst in Westdeutschland, als Konrad Adenauer das Bekenntnis zu Demokratie und Westbindung umstandslos mit der Rehabilitation ehemaliger Nationalsozialisten verband. Nun ist Stanislaw Tillich kein Hans Globke, der vom Kommentator der Nürnberger Rassengesetze zum Staatssekretär im Kanzleramt avancierte. Er steht aber exemplarisch für eine Lebenslüge, von der sich die CDU schon im eigenen Interesse schnell verabschieden sollte – weil sie zwanzig Jahre nach der Wende nicht mehr trägt. RALPH BOLLMANN