Karnevalsdialektik: Saufen für den guten Zweck

Seit 1999 organisiert „Kein Mensch ist illegal“ Karnevalspartys. Zwar sehen sich die Veranstalter durchaus in der Tradition des „linken Kölner Karnevals“. Aber die ironische Selbstreflexion der Szene wird bis zur Nubbelverbrennung am Dienstag aufgespart. Bis dahin wird gefeiert: „för ne joode Zweck“

Von Susanne Gannott

Karneval ist was für Spießer. Für Leute, die das ganze Jahr über brav ihr angepasstes Bürgerleben führen, um dann einmal im Jahr so richtig auf die Kacke zu hauen. Karneval ist noch dazu politisch im höchsten Maße unkorrekt: Die Funken paradieren mit militärischen Uniformen, ganze Sippschaften ziehen als „Neger“ oder „Schlitzaugen“ verkleidet durch die Stadt, Vereine heißen gar „Nippeser Mohrenköpp“, und Frauen wird ans „Föttche jeföhlt“. Kann man da als aufgeklärter Linker überhaupt Karneval feiern und wenn: Muss man dazu nicht sein politisches Bewusstsein für sechs Tage komplett ausschalten?

„Nix es ömmesöns“

„Diese individualpsychologische Sicht auf Karneval finde ich langweilig“, sagt Günther Glocksin. Seit Jahren schon ist er „President“ des „Vereins“, der die Karnevalspartys des linken Kölner Netzwerks „Kein Mensch ist illegal“ (kmii) im Q-Hof organisiert. Zwar gebe es auch beim Netzwerk, das sich für Migranten und eine liberale Flüchtlingspolitik einsetzt, einige, die Karneval als Spießerveranstaltung ablehnen.

Aber „diese Ablehnungsfront zeigt inzwischen Auflösungserscheinungen“, wie „President Günther I.“ sichtlich befriedigt beobachtet hat. Denn für ihn steht nicht nur außer Frage, dass auch linke Politaktivisten einmal im Jahr etwas Spaß und Ablenkung vertragen können. Interessant findet der „President“ gerade den Versuch, bestimmte Aspekte des traditionellen Karnevals umzuformen und mit linken Themen zu besetzen.

Etwa beim Geisterzug, der 1991 als eine Mixtur aus Anti-Kriegsdemo und Ersatz-Rosenmontagszug ins Leben gerufen wurde, nachdem wegen des zweiten Golfkriegs der Straßenkarneval abgesagt worden war. Oder auch bei der Stunksitzung, „wo Formalien des traditionellen Sitzungskarnevals aufgenommen und in ihr Gegenteil verkehrt werden“. So sei zum Beispiel Ende der 90er Jahre das Lied „Marx-Schunkeln“ entstanden, erinnert sich der „President“. Diese Hymne der linken Narren erklingt auch bei der Party „Keine Jeck es illegal“ mehrmals nächtlich. Und spätestens beim Refrain singt der ganze Q-Hof mit: „Dä Kommunismus, dä hät ene Rhythmus, Ener fängk zu schunkele an, bis jeder mit muss...“ (s. Kasten)

Freilich entbehrt es nicht einer gewissen Komik, wenn bierselige „Salonkommunisten“ selbstvergessen auf den Bänken stehen und schunkeln, gesteht der „President“. Und lässt es sich nicht nehmen, seine „Gemeinde“ nach tagelangem, besinnungslosen Frohsinn bei der abschließenden Nubbelverbrennung kräftig zu geißeln – für ihre linke Hybris und übertriebenes Gutmenschentum. Denn auch bei der Linken eignet sich der Nubbel ganz prächtig als „Projektionsfläche für eigene Fehler“, findet „Günther I.“. Dieses Jahr will er in seiner Ansprache etwa das Grenzcamp vom letzten Sommer bilanzieren. Begleitet vom Refrain der Klageweiber – „Nix es ömmesöns: kein Bier, kein Flönz“ – klingt das dann so: „Dä Flöschling wollte mer helfe, dä Nazis verkloppe. Un schön parliere und ens suffe. Doch och dä Schmier wor widder do! Ab in dä Bau – janz illejal! Jrad dusend Mann – un lecker Mädscher!“

Auf dem Scheiterhaufen

Für solche und andere „Schandtaten“, etwa die unselige Diskussion um die „Klau-Kids“, muss der Nubbel am Ende auf den Scheiterhaufen – und die „Gemeinde“ bekommt die Absolution. Natürlich steht die „Nubbelbeauftragte“ von kmii jedes Jahr vor der fast unlösbaren Aufgabe, einen „politisch korrekten“ Nubbel herzustellen, der alle Randgruppen gleichermaßen repräsentiert, wie der „President“ zugibt: „Unser Nubbel muss schwul sein, lesbisch, schwarz und noch was ganz Schlimmes!“

Bis zum Karnevalsdienstag ist allerdings noch Zeit – jetzt wird erstmal gefeiert! Denn letzten Endes dürfe man den politischen Aspekt im linken Karneval nicht überbewerten, findet der „President“. Die jecken Tage im Q-Hof seien in erster Linie eine „Superparty“ für die Szene. Und sie ermöglichten die „Grundfinanzierung“ der politischen Arbeit des Netzwerks, erklärt er, weil die Thekenmannschaften vom Q-Hof ihren Lohn an kmii spenden. Mit dem Geld könnten so unter anderem illegale Flüchtlinge oder solche mit prekärem Aufenthaltsstatus unterstützt werden. Vielleicht ist das ja die ganze Dialektik des linken Karnevals: Drinke för ne joode Zweck!

Bis Dienstag täglich im Q-Hof, Limburger Str. 29, ab 19 Uhr