Kölner Lehrer rechnen vor: Sozialarbeit kommt billiger

Der Jugendhilfeausschuss des Rats hat zum Ende dieses Jahres alle 14 Stellen für Schulsozialarbeiter gestrichen. Lehrkräfte fürchten das Schlimmste und werfen der Stadt vor, am falschen Ende zu sparen. Langfristig kommt das Sparen an der Jugend die Gesellschaft teurer, haben sie ausgerechnet

Köln taz ■ Verena braucht zwar nur einen Bruchteil der Zeit ihrer Mitschüler, um neuen Unterrichtsstoff zu lernen, aber die Sechsjährige leidet an einer motorischen Störung und braucht Krankengymnastik. Manni (10) kommt aus einer Familie mit Gewalt- und Alkoholproblemen und wird von seinen Lehrern als wandelndes Pulverfass erlebt; er braucht Unterstützung, um wieder am Unterricht teilnehmen zu können. Der neunjährige Ali ist ein Schulschwänzer, doch es ist kaum möglich, einen Termin mit seinen Eltern zu finden, da sein Vater in Wechselschicht arbeitet und seine Mutter kaum Deutsch spricht. Außerdem muss noch die Show für die Abschlusspräsentation des Hip-Hop-Projekts koordiniert werden.

Die Sozialarbeiterin an der Sonderschule für Erziehungshilfe Auguststraße in Nippes hat alle Hände voll zu tun. In Zusammenarbeit mit dem Jugendamt kümmert sich Silvia Klapheck um Einzelfälle, geht in den Unterricht, um Kinder und Eltern kennen zu lernen und knüpft nebenbei am Netzwerk der Jugendhilfeeinrichtungen in Nippes, das sie aufgebaut hat. Ihr Vertrag indes läuft Ende des Jahres aus.

Als Michael Heinrichsdorff, Schulleiter der Auguststraße, von der Entscheidung des Jugendhilfeausschusses erfuhr, war er fassungslos. Ohne die Sozialarbeiterin blieben viele Probleme liegen oder verschlimmerten sich, befürchtet Heinrichsdorff. „Wir haben sehr, sehr problematische Kinder und Jugendliche hier. Gerade unsere Schulform hat die größte Schnittmenge mit dem Jugendamt.“

Nicht nur die Schule Auguststraße sieht große Probleme auf sich zukommen. Weitere 13 Sonder-, Grund- und Hauptschulen sowie Berufskollegs sind von den Kürzungen der Stadt betroffen. Bereits 2003 stand die Finanzierung auf der Kippe. Nach einem dringenden Appell der betroffenen Schulen hatte der Rat der Stadt Köln offenbar die Notwendigkeit der Schulsozialarbeit eingesehen und beschlossen, die Finanzierung fortzuführen – allerdings nur bis zum 31. Dezember 2004. Eine Verlängerung darüber hinaus wurde auf der Sitzung des Jugendhilfeausschusses Anfang Februar ausgeschlossen.

In einer gemeinsamen Stellungnahme weisen die 14 Schulen nun auf die in der Zwischenzeit verschärfte Situation der Kinder und Jugendlichen in Kölner Schulen hin. Nach den schlechten Ergebnissen der Pisa-Studie, nach den Sparmaßnahmen von Stadt und Land bei der offenen Jugendarbeit, der Streichung kommunaler Jugendhilfe und den schlechten Aussichten auf dem Arbeitsmarkt für so genannte benachteiligte Jugendliche könne auf die „sowohl präventiv wirkende als auch auf die Krise vor Ort direkt einwirkende Schulsozialarbeit“ nicht verzichtet werden.

Dass die Streichung der 14 Sozialarbeiterstellen nicht nur für die Kinder und Jugendlichen katastrophale soziale Auswirkungen hätte, sondern Köln letztlich teurer käme, rechnete die Schule Auguststraße in einem Schreiben an die Stadt vor: Wenn man davon ausgeht, dass ein Schulsozialarbeiter (Jahreskosten etwa 41.600 Euro) in seiner Laufbahn nur drei Schüler vor dauerhafter Inanspruchnahme von Sozialhilfe (Jahreskosten pro Kopf rund 18.444 Euro) als Erwachsene bewahren kann, hätte er dadurch nicht nur sein Gehalt herausgearbeitet, sondern jährlich zusätzlich fast 14.000 Euro für den Stadtsäckel erwirtschaftet.

Ähnliche Kalkulationen lassen sich für Fälle anstellen, in denen Unterbringungen in Heimen oder Jugendstrafanstalten vermieden werden könnten. Das alles ist auch Birgitta Radermacher (CDU), Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses, bewusst. Im Rahmen der vom Rat beschlossenen Haushaltskonsolidierung drohe die Schulsozialarbeit jedoch „ganz schlicht am Geld“ zu scheitern. Problematisch sei außerdem, dass Schulsozialarbeit nichts Messbares oder Vorzeigbares sei, sondern meist erst dann vermisst werde, wenn sie wegfalle.

Obwohl ihr die Schulsozialarbeit „sehr am Herzen“ liege, wird anderen Projekten offenbar eine höhere Priorität eingeräumt. Schulsozialarbeit sei eben nichts, „wovor man sich hinstellen und fotografieren lassen kann“, bedauert die CDU-Politikerin. Jessica Düster