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: Maschen gegen Stress: Der neue Trend Stricken kann den Puls und den Blutdruck senken

Es ist kalt draußen, es ist grau, und es wird auch noch lange so bleiben. Die Berlinale verlief ein wenig glanzlos, andere gesellschaftliche Höhepunkte sind nicht auszumachen, es fehlt an allem. Fast könnte man ganz und gar verzweifeln, gäbe es nicht einen schönen neuen Trend, der endlich aus Großbritannien zu uns gefunden hat: „Stricken“ heißt der neue Trend – „Stricken ist das neue Yoga“ der dazu gehörige Slogan. Nun scheint der neue Trend auf den ersten Blick gar nicht so neu zu sein und höchstens eine weitere Unterabteilung der bewährten Gattung cocooning darzustellen.

Es ist zunächst auch nicht leicht, die coole Seite des Strickens zu erkennen. Das Stricken leidet hierzulande noch stark unter seinem Großmutterimage. Aber wer hat heutzutage denn noch eine strickende Großmutter? Die moderne Großmutter spielt, je nach Klassenzugehörigkeit, Golf oder Lotto. Viel präsenter ziehen da beim Stichwort „Stricken“ Schreckbilder der strickenden Studentin im Germanistenseminar und des strickenden bärtigen Bundestagsabgeordneten am inneren Auge vorbei. Dabei ist Stricken so viel mehr! Auf so vielen Ebenen kann man sich der Nadelarbeit nähern. Sogar Bücher gibt es schon zum Thema.

In Publikationen wie „The joy of knitting“ wird z. B. die lustvolle Seite des Nadelhandwerks beleuchtet, in „The knitting Goddess“ versucht man, die Seele des Strickens mit Hilfe mythologischer Gestalten wie Ariadne und Penelope metaphysisch zu erfassen. Und ist das Leben an sich nicht auch ein bisschen wie Stricken? Stricken wir nicht alle an unseren Texten und Themen, an unserer Biografie? Stricken wir nicht unsere Beziehungen zusammen? Interessante Wortspiele mit Lebensfaden und dem Leben als ewigem Wollknäuel drängen sich auf!

Dann die therapeutische Seite des Strickens! Maschen gegen Stress! Ein großes tiefes Ruheempfinden stellt sich ein, Glücksgefühle kommen auf. Ja, Stricken beugt dem Herzinfarkt vor, senkt den Puls und den Blutdruck. Das geduldige Ausführen der sich immer wiederholenden Arbeitsschritte ist für das Denken ordnungsgebend und musterbildend. Das Gestrickte wächst weiter, der Erfolg ist direkt messbar.

Bei Überdosierung der Entspannungsdroge Stricken kann es allerdings zum gefährlichen knittingfever, zur selbstzerstörerischen Strickwut kommen.

Nun will der ungeduldige Neuling oft gleich mit Pullovern und Mänteln beginnen, aber auch beim Stricken heißt es klein anfangen: Die Sockenferse und der Raglanärmel sind eher was für Fortgeschrittene. Der Strickanfänger sollte sich in Bescheidenheit üben, sich zunächst an gestrickten Topf- oder Scheuerlappen üben, auch Kaffeebecheruntersetzer und Wärmeflaschenüberzüge sorgen für Erfolgserlebnisse und den schnellen Kick , können sie doch an nur einem Fernsehabend fertig gestellt werden. Sind die Grundfertigkeiten erlernt, heißt es raus ins Freie mit dem Strickzeug. Die Londoner Cast-off-Bewegung strickt in Museen, in Discos, auf Friedhöfen. Cast off heißt so viel wie abketten (für Unkundige: das Strickstück abschließend von der Nadel nehmen). Die Briten sind berühmt dafür, alles zu stricken: Zigaretten, Geburtstagskarten, Schmuck und Penisse. Die amerikanischen Yukkies (Young Urban knitters) hingegen stricken eher BHs und Handtaschen. Prominente Drehpausen-Stricker wie Julia Roberts, Julianne Moore und Russel Crowe ziehen das Stricken leider schon zum Mainstream hinab.

Auch zur Partnervermittlung eignet sich das neue trendige Hobby: Der älteste Strickwitz, ein locker in die Strickrunde geworfenes „Eine rechts, eine links, eine fallen lassen“ sorgt immer wieder für Heiterkeit.

CHRISTIANE RÖSINGER