Sinfonie des Lebens und Sterbens

Die Gelegenheit, einen alten Film im Lichte des jüngsten zu betrachten: In der Reihe „Play it Again“ lässt sich diese Woche „Magnolia“ von P. T. Anderson wiedersehen, dessen „Punch-Drunk Love“ erst kürzlich gestartet ist

Fast pünktlich zum Start von Paul Thomas Andersons Punch-Drunk Love ist jetzt noch einmal sein drei Jahre zuvor entstandener Magnolia zu sehen – eine Gelegenheit, die man schon deshalb wahrnehmen sollte, weil frühere Arbeiten eines Regisseurs im Licht von späteren immer bisher nicht gesehene Aspekte offenbaren. Im Fall von Anderson wäre allerdings eine komplette Werkschau wünschenswert, die dann neben Boogie Nights, mit dem ihm 1997 der Durchbuch gelang, unbedingt auch sein Debüt, den Spielerfilm Hard Eight enthalten müsste. Nicht nur, weil schon darin ein Teil seiner stock company um Philip Baker Hall, John C. Reilly und Philip Seymor Hoffman auftritt, sondern auch weil Anderson schon hier wie später immer wieder von Familien beziehungsweise Ersatzfamilien erzählt, zu denen sich seine Figuren zusammenschließen, um ihrem Leben mehr Halt zu geben.

Wer Magnolia noch nicht kennt, darf sich, vom viel zitierten Froschregen angefangen, auf einiges gefasst machen. Kurioserweise ist der 189 Minuten lange Film in jeder Beziehung schneller als der gerade mal halb so lange Punch-Drunk Love. Das muss er schon deshalb sein, weil Anderson hier statt einer gleich neun Geschichten erzählt. Diese sind auf sehr elegante Weise verwoben, ein Verfahren, welches Anderson, wie er freimütig eingesteht, bei Robert Altmans Short Cuts abgeschaut hat.

Keinen Deut schlechter als seinem Vorbild ist Anderson gelungen, dass sein Film nicht wie ein großer Flickenteppich daherkommt, sondern als Sinfonie des Lebens und Sterbens im San Fernando Valley. Und fast noch besser als Altman bewerkstelligt Anderson, jeder seiner elf Hauptfiguren wunderbar markante, von tiefer Zuneigung zu ihnen geprägte Konturen zu geben. Da wären: Donnie Smith (William H. Macy), der als Kind bei sämtlichen Quizshows abräumte, nun ein Nobody ist und sich durch eine Zahnkorrektur bessere Chancen bei seinem Schwarm, einem Barkeeper, erhofft. Phil Parma (Philip Seymour Hoffman), der bei der Pflege des sterbenskranken Fernseh-Produzenten Earl Partridge (Jason Robards) manch schwierigee Gewissensentscheidung zu treffen hat. Linda Partridge, die Ehefrau des Patriarchen, der Julianne Moore schon einige Züge ihrer Rollen in Far from Heaven und The Hours gibt. Jim Kurring (John C. Reilly), der einfach nicht darüber hinwegkommt, dass er als Polizist im Dienst seine Waffe verloren hat. Und natürlich der Sex-Guru Frank T. J. Mackey (Tom Cruise), der in seinem Kurs, „Seduce & Destroy“ verunsicherten Männern neues Selbstvertrauen einzuimpfen versucht. Zu einer Einheit verschmolzen werden die erzählten Einzelschicksale von Aimee Manns Musik, vor allem dem wunderbaren Titelsong „One (Is the Loneliest Number)“.

Nicht auszuschließen ist natürlich, dass sich beim Wiedersehen auch die eine oder andere bislang nicht gesehene Schwäche offenbart. Vielleicht, dass Anderson wie in Punch-Drunk Love die Probleme seiner Figuren „umstandslos aus kindlichen Verletzungen herleitet“ (wie in der taz vom 16.4.). Aber seinen geradezu rauschhaften Sog wird Magnolia mit Sicherheit nie einbüßen. Eckhard Haschen

Do, 22.30 Uhr + Fr, 16.50 Uhr, Abaton; Sa + So, 17 Uhr, 3001, Di, 17 Uhr + Mi, 22.30 Uhr, Zeise