Das stille Nein

Ihre Wut über die Agenda 2010 scheinen Berliner SPDler mit sich selbst auszumachen. Kein Andrang in Anlaufstelle

Gut zwölf Genossen könnten gemeinsam an jenem Tischkarree sitzen, das hinten im Friedrichshainer SPD-Kreisbüro in der Revaler Straße steht. Könnten dort sitzen und das Mitgliederbegehren gegen die von Kanzler und Bundesparteichef Schröder geplanten Einschnitte unterschreiben. Könnten – aber sie tun es nicht. Zumindest bei einer Stippvisite gestern hält allein Parteimitarbeiterin Beate Petras die Stellung. Ähnlich war es dem Vernehmen nach am Dienstag, als das SPD-Büro erstmals als Anlaufstelle für das Mitgliederbegehren diente. Petras mag nicht sagen, wie viele hier schon unterschrieben haben. Das soll angeblich erst zum Schluss geschehen.

Zum Schluss heißt am 11. Juli. Bis dahin haben die Initiatoren des Begehrens Zeit, mindestens jedes zehnte SPD-Mitglied zur Unterschrift zu bewegen, um eine Urabstimmung zu erzwingen – rund 70.000 wären das bundesweit, 1.900 in Berlin. Eine der dafür nötigen Unterschriften kommt vom örtlichen Kreischef, dem als Parteilinken eingeordneten Mark Rackles. Er geht davon aus, dass bis zu 3.000 Berliner SPDler sich beteiligen. Die ersten 100 Unterschriften seien bereits unterwegs zu den Initiatoren.

In der ausliegenden Übersicht der Erstunterzeichner ist ein SPD-Bundestagsabgeordneter Barthel aufgeführt. Barthel? Nein, doch nicht der gleichnamige Berliner Parlamentarier Eckhardt, sondern der Bayer Klaus. Bisher sei er nicht verwechselt worden, sagt der Mann aus Tempelhof-Schöneberg der taz, „aber das kommt bestimmt noch“.

Was zu Missverständnissen führen würde. Barthel gehört zwar in der SPD-Fraktion wie seine Berliner Kollegen Petra Merkel und Swen Schulz zur Parlamentarischen Linken, die der Agenda 2010 anders als die Landesparteispitze kritisch gegenübersteht. Das Mitgliederbegehren aber lehnt er ab. „Ziemlich negativ“ wirke sich das auf den Reformprozess aus. Das sieht auch Swen Schulz so. „Nicht produktiv“ nennt er das Begehren: Angemessen wäre es etwa bei der Frage nach der Wehrpflicht, nicht aber bei einem umfassenden Reformpaket.

In der Berliner SPD war die Diskussion um die Ausrichtung der Partei schon vor Schröders Agenda-Plänen vom März eröffnet. Bereits im Februar hatte der Vorstand den Leitantrag für den Landesparteitag am 16./17. Mai beschlossen und damit heftigen Streit über Privatisierung und weniger Staat ausgelöst.

Die Genossen in Friedrichshain-Kreuzberg gehören dabei zu den entschiedensten Kritikern. In ihrem Kreisbüro hängt gleich am Fenster eine bejahrte weinrote Parteifahne. Der Schriftzug drauf könnte auch für das Mitgliederbegehren gelten, das trotz des für den 1. Juni in Berlins angesetzten Sonderparteitags weiterlaufen soll: „Vorwärts immer, rückwärts nimmer.“ STEFAN ALBERTI