Eine schöne Kampagne zur richtigen Zeit

Jammern über den Erfolg: Ist das nicht very British? Auf dem Festival „Britspotting“ gibt es Filme über Sänger, die ihre Lieder hassen, über Konkurse von legendären Labels und über eine Werbeagentur, die Mrs. Thatcher an die Spitze verhalf. Geschichte satt und Unterhaltung dazu in 27 Filmen

von HARALD PETERS

Wie man hört, geht es der britischen Filmindustrie derzeit nicht gut. Dass der Boom der Vorjahre mittlerweile vorüber ist, zeigt sich allein daran, dass in England 2002 rund 40 Prozent weniger Filme gedreht wurden als noch im Jahr zuvor. Zwar wurden dem britischen Film in Berlin und Cannes zuletzt dank „Bloody Sunday“ von Paul Greengrass, „Die unbarmherzigen Schwestern“ von Peter Mullan und „In This World“ wichtige Auszeichnungen beschert, doch an der wirtschaftlichen Misere änderte das nichts. Im Gegenteil: Die umtriebigen Filmproduktionszweige der Fernsehsender Channel 4, BSkyB und Granada wurden abgewickelt. Damit ruht die größte Hoffnung auf Besserung momentan auf den schmalen Schultern von „Johnny English“, dem tapferen Geheimagenten im Dienste Ihrer Majestät.

Da der aktuelle Produktionsumfang folglich überschaubar ist, bietet das Britspotting-Festival, das vom 24. bis zum 31. April in den Kinos Central, Acud und fsk stattfindet, einen guten Überblick. Ein kleiner Schwerpunkt sind dabei Filme zum Thema Musik: Das passt, schwächelt die britische Musikszene ja auch seit geraumer Zeit.

In einer Zeit, als es ihr noch deutlich besser ging, spielt Michael Winterbottoms „24 Hour Party People“: eine fiktive Dokumentation, welche die wahre Geschichte des wundersamen Labels Factory-Records zur Grundlage nimmt. Winterbottom erzählt darin die Geschichte des Fernsehmoderators Tony Wilson, der, von Punk inspiriert, das Label Factory Records gründet, um von Manchester aus mit Bands wie Joy Division, New Order und den Happy Mondays die Welt zu erobern. Weil es aufgrund eines in Blut verfassten Manifests zwischen Plattenfirma und Künstlern aber keine Verträge gab, machte das Label allerdings hauptsächlich Verluste und musste nicht zuletzt wegen eines etwas zu großen Bürotisches den Konkurs anmelden. Tony Wilson hat Winterbottoms Film übrigens zum Anlass für eine Autobiografie gleichen Titels genommen.

Zwar nicht aus Tony Wilsons Talentschmiede, aber ebenso aus Manchester kam vor nunmehr über zehn Jahren eine hoffnungsfrohe Band namens Take That, deren dritter Sänger Robbie Williams bald eine unwahrscheinliche Solokarriere starten sollte. Für den tatsächlichen Dokumentarfilm „Nobody Someday“ hat der Regisseur Brian Hill den um unentwegte Selbstdarstellung bemühten Sänger bei seiner letzten Europatour begleitet. Der erstaunte Zuschauer erfährt darin, dass der mimosenhaft jammernde Erfolgssänger sehr unter seinen Erfolgen leidet, die Konzerte nur unter dem tief empfundenen Gefühl des Ekels absolvieren kann und seine Lieder mehr oder weniger hasst. Dass man dabei nicht so recht weiß, ob Williams sich dabei möglicherweise selbst, die Welt oder seinen Regisseur nach Strich und Faden verarscht, ist dabei die eigentliche Frage dieses ansonsten ratlos machenden Films über Probleme, die andere Leute gerne hätten.

Dass die Männer von der Agentur, die in Michael Wadings Dokumentarfilm „The Men From The Agency“ vor die Kamera treten, trotz Ruhm, Ansehen und Erfolg noch immer bei bester Laune sind, lässt sich jedenfalls schon in ihrer selbstzufriedenen Mitteilsamkeit erkennen. Immerhin haben sie es in den späten 60er-Jahren über eine Londoner Werbeagentur bis in die Politik (Puttnam), nach Hollywood (Alan Parker, Ridley Scott, Tony Scott) und in die Kunstwelt (Großmäzen Charles Saatchi) geschafft. Immerhin veränderten sie dabei auch gleich die gesamte britische Gesellschaft, wie der Film zwar interessant, aber etwas distanzlos zu berichten weiß. Denn immerhin konnten sie einer gewissen Mrs. Thatcher seinerzeit durch eine tatsächlich schöne Kampagne zu einer folgenreichen Zeit in Amt und Würden verhelfen.

Während „The Men From The Agency“ und „24 Hour Party People“ Teile der englischen Geschichte quasi im Vorübergehen rekapitulieren, setzt sich Charles McDougalls „Sunday“ noch einmal wie Paul Greengrass in „Bloody Sunday“ mit jenem blutigen Sonntag 1972 in Derry, Nordirland, auseinander, an dem die britische Armee auf friedliche Demonstranten schoss. Seine Erzählung beruht ausschließlich auf Regierungspapieren, Befragungen und Augenzeugenberichten. Das Ergebnis ist dabei ebenso bedrückend wie bekannt, was aber nichts macht, weil das Britspotting-Festival es mit unbekannten und lustigen Dingen luftig umrahmt.

Britspotting läuft in den Kinos Acud, Central, fsk, 24. 4.–30. 4.