Normal ist, wenn‘s wehtut

Fünfzehn Minuten Langeweile und dann unbarmherziges Kneten der Knoten: Die Geschichte einer Massage

„Jetzt entspannst du dich erst mal!“, sagt die muntere Stimme der Masseurin. Es klingt wie ein Befehl. Sie legt irgendeinen Schalter um, von oben wird es hell und heiß. Ein leises Tickern suggeriert, dass Zeit verrinnt. Wie soll ich mich denn so entspannen? Ich will mich überhaupt nicht entspannen! Es ist Montag, acht Uhr morgens. Ich sollte jetzt Zeitung lesen und den Computer anwerfen. Zur Bahn eilen und dabei telefonieren! Ich habe zu tun, ich bin ein moderner Großstadtmensch! Aber ich liege hier, auf dem Bauch mit nacktem Oberkörper. Die Masseurin ist auf leisen Strümpfen aus dem Zimmer gegangen und hat die Tür übertrieben rücksichtsvoll hinter sich zugezogen. Es riecht nach Kräuterextrakt.

Montagmorgen, Zeit, die Woche schwungvoll zu beginnen, und ich liege hier wie eine Flunder und soll mich nicht rühren. Meine Arme hängen ausgestreckt an den Seiten herunter, mein Gesicht in einem viereckiges Loch im Kopfteil der Liege. Ich starre auf den Boden: weiß lackiertes Gestänge. Ein Kabel. Ein Stück grauer Teppichboden. Mehr gibt es nicht zu sehen. Blöde Aussicht. Ich hätte mir eine Zeitung auf den Boden legen sollen, genau unter den viereckigen Ausschnitt. Aber ich soll mich ja entspannen. Fünfzehn Minuten, so die Stimme der Masseurin, bevor sie entschwand. Fünfzehn Minuten erzwungene Langeweile. Nur ich und das weiß lackierte Gestänge und das Ticken. Es tickt weiter, mein Rücken wird immer wärmer. Es glüht schon ein bisschen, ich versuche, mit geschlossenen Augen das Gefühl eines Strandtags heraufzubeschwören. Über mir die scharfen Strahlen der Sonne, unter mir das warme Holz der Strandliege, das Handtuch-Frottee gräbt sein Muster in meinen nackten Bauch. Ein deutlicher Geruch nach frisch gewaschenem Leinen lässt mich die Augen wieder öffnen. Am Strand gibt es keine Leinentücher, die gibt es nur in Massagepraxen …

Kalte Flüssigkeit, die auf meinen glühenden Rücken tropft, schreckt mich auf. Ich muss wohl eingeschlafen sein. Ich versuche, den Kopf zu drehen, doch da packen die kräftigen Hände der Masseurin schon meinen Nacken. „Wenn‘s ein bisschen wehtut, ist es normal“, ruft sie fröhlich. Sie lässt die öligen Muskelstränge durch die Finger flutschen, legt zielsicher die Fingerspitzen auf die Schmerzknoten zwischen meinen Schultern und fängt dann an, so richtig zu walken. Meine Augen tränen, ich beiße die Zähne fest zusammen. Von wegen Kräuterextrakt und Entspannung. Alles nur vorgetäuscht, um die Patienten für die Tortur der medizinischen Massage vorzubereiten. Schlaff, willenlos und halb angeröstet. Unbarmherzig kneten die Hände der Masseurin weiter, meine Mundwinkel zucken. „Das ist aber eine üble Verspannung, da werden wir noch einige Sitzungen brauchen, bis es besser wird.“

Ich erlaube mir ein kleines Stöhnen. Die muskulösen Finger dringen in die tiefsten Regionen des Schmerzes vor, am Schluss werde ich noch mal am Nacken gepackt wie ein Kaninchen, dann ist es vorbei. „Sie können sich jetzt wieder anziehen.“ Benommen erhebe ich mich von der Liege und schleiche zu dem Hocker mit meinem Kleiderhaufen. Ein Blick in den Spiegel zeigt mir einen dicken, roten, tief eingegrabenen Streifen auf der Stirn. Das viereckige Guckloch zum Boden.

NINA APIN