herr tietz macht einen weiten einwurf
: FRITZ TIETZ über tote Rennfahrermütter

Freie Fahrt für den Job

Fritz Tietz ist 44 Jahre alt, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport.

Obwohl schon ein paar Jahre im Rennen, verfügt der einzige mir bekannte Formel-1-Witz immer noch über eine beachtliche Lachkraft: Kommt ein Mann in eine Pommesbude, läuft schnurstraks um den Tresen und direkt zur Friteuse, nimmt dort den Pommes-Korb aus dem siedenden Fett und taucht stattdessen seinen Kopf in den Bräter. Als er aus dem brodelnden Fett wieder auftaucht, fragt ihn das Buden-Personal erstaunt nach dem Grund seines abwegigen Tuns, worauf der Mann antwortet: „Wenn ich schon nicht so fahren kann wie Niki Lauda, möchte ich wenigstens so aussehen.“

Sein „witziges Aussehen“, wie man in diesem Zusammenhang wohl sagen darf, verdankt der dreimalige Formel-1-Weltmeister Niki Lauda bekanntlich einem Rennunfall, der ihn infolge starker Verbrennungen den Skalp kostete und einige Kopfhautpartien arg zerschmurgelte. „Barbecue“, bekalauert Lauda mittlerweile selbst diesen Unfall, der ihn trotz schwerster Verletzungen nicht daran hinderte, sehr bald wieder am Renngeschehen teilzunehmen. Schon wenige Wochen und ein paar Hauttransplantationen nach dem Crash begann er erneut „blöd im Kreis herumzufahren“, wie Lauda das 1979 nannte, als er völlig überraschend mitten in der Rennsaison die Formel-1-Brocken hinwarf – um sie allerdings zwei Jahre später abermals aufzunehmen. Erst 1985 beendete er endgültig seine aktive Karriere.

Nach wie vor aber ist Niki Lauda unübersehbar im Formel-1-Zirkus präsent. An allen Renntagen sieht man ihn im TV ein Ferrari-Käppi tragen, während er beim Rennsender RTL die Expertennummer schiebt. Auch am Ostersonntag konnte man da wieder jenes laudatypische Genäsel vernehmen, mit dem der Ösi den Fernsehleuten hilft, die Sendezeit zwischen den Werbespots zu überbrücken. Sonst hauptsächlich damit befasst, irgendwelche aufgeblähten Renn-Prognosen oder Analysen unter Verwendung allerlei redundanten Quatschs über Reifenfabrikate, Wetteraussichten und Tankstoppstrategien vorzunehmen, musste sich Lauda dieses Mal abweichend vom Normalpalaver einer eher rennsportethischen Frage widmen: Dürfen „der Michael“ und „der Ralf“, wie die Gebrüder Schumacher von Lauda kumpelhaft bezeichnet werden, trotz der nur wenige Stunden zuvor verstorbenen Mutter an den Start gehen?

Lauda beantwortete diese Frage, wie man es von einem, der quasi schon mal über die eigene Leiche gegangen ist, kaum anders erwarten konnte: die Entscheidung der Schumachers, dieses Rennen zu fahren, sei Ausdruck ihrer Professionalität und völlig korrekt. Mit ihrem kurzen Abstecher tags zuvor ans Sterbelager der Mutter hätten die Brüder so weit alles richtig gemacht, mehr könne man nicht verlangen. Im Übrigen, so philosophierte Lauda, müsse doch jeder mal sterben. Also gelte es jetzt, ins Rennauto zu steigen und nicht mehr an die tote Mutter zu denken, sonst sei eh alles zu spät.

Andere Rennsportexperten teilten in der Renn-Nachlese Laudas Bewertung tendenziell. Zwar wurde hier und da das tragische Dilemma des Ereignisses betont. Mehrheitlich aber befand man, dass der „Job“ (Heinz Harald Frenzen) resp. der „Beruf“ (Mercedes-Chef Norbert Haug) Vorrang vor dem Sterbefall habe. Oder wie Bild am Dienstag feststellte: „Die Formel 1 kann auf Einzelschicksale keine Rücksicht nehmen.“

Der Lauda-Witz oben deutet spaßig an, dass ein Sportidol zu reichlich idiotischen Nachahmungstaten verleiten kann. Die Entscheidung der Schumacher-Brüder, über dem noch warmen Leichnam der Mutter ein Autorennen zu bestreiten, wird hingegen als vorbildlich und durchaus nachahmenswürdiges Beispiel verstanden. Mutter tot? Na und? Job geht vor. Das sind die Signale, die die Totengräber des Sozialstaats derzeit am dringendsten brauchen. Umso besser für sie, wenn sie aus dem Sport kommen.

Leider kein Witz. Eher ekelhaft.