Basisnaher Chef für Bahngewerkschaft

Alexander Kirchner, 52, soll die Eisenbahnergewerkschaft Transnet in eine bessere Zukunft führen. Er muss den Seitenwechsel seines Vorvorgängers Norbert Hansen vergessen machen FOTO: AP

Alexander Kirchner ist nicht zu beneiden. Der gestern neu gewählte Vorsitzende der Eisenbahnergewerkschaft Transnet muss der kriselnden Arbeitnehmerorganisation neues Selbstvertrauen einimpfen – und die Schmach seines Vorvorgängers Norbert Hansen vergessen machen. Denn der wechselte, nachdem er jahrelang Transnet auf einen privatisierungsfreundlichen Kurs getrimmt hatte, im Mai überraschend die Seiten und ist jetzt gut dotierter Arbeitsdirektor bei der Deutschen Bahn AG.

Kirchner, bislang im Transnet-Vorstand für die Tarifpolitik zuständig, kommt ebenso wie sein Vorgänger Lothar Krauß, der wegen seiner Zustimmung zu den umstrittenen Börsenboni für den Bahn-Vorstand in letzter Minute das Handtuch warf, aus dem Hansen-Stall – der 52-Jährige gilt aber als basisnah. Rein äußerlich zeigt sich das in seiner Ablehnung von Krawatten, nie trägt der passionierte Motorradfahrer einen Schlips.

Auf dem Gewerkschaftstag in Berlin, auf dem er als Einziger kandidierte und 96,3 Prozent der Stimmen bekam, deutete Kirchner eine leichte Korrektur des privatisierungsfreundlichen Kurses an. Zentrale Frage für die Eisenbahner sei zwar nicht, „ob und wann die DB AG an die Börse geht“, so Kirchner. Wichtig sei, dass das System Schiene die Investitionsmittel bekomme, die es benötige. Aber: „Solange wir keine Antwort auf diese Frage bekommen, werden wir zu nichts eine Zustimmung geben.“

Kirchners Aufgaben sind gewaltig: Er muss seine Organisation, die wegen ihrer privatisierungsfreundlichen Linie im Gewerkschaftslager isoliert ist, wieder in die DGB-Familie integrieren – zumal Transnet in zwei Jahren fast 20.000 Mitglieder verloren hat. Zudem schwelt der Großkonflikt mit der Lokführergewerkschaft GDL weiter, die mittlerweile die tarifpolitische Hoheit für die Lokführer erobert hat. Schon Anfang des nächsten Jahres stehen neue Tarifverhandlungen mit der Bahn an; Transnet fordert 10 Prozent mehr Lohn. Allerdings wird die GDL wieder versuchen, mehr als Transnet herauszuholen. Zumindest taktisch will sich Kirchner diesmal keine Blöße geben – und keinen Tarifvertrag vor der GDL abschließen. „Fertig sind wir erst, wenn alles fertig ist.“

Sorgen bereiten Transnet auch die Ausschreibungen im Regionalverkehr, bei denen Bahn-Konkurrenten oder Bahn-Tochterunternehmen mit niedrigeren Löhnen den Zuschlag kriegen könnten. Ein Ausweg wäre ein Flächentarifvertrag, der für alle Unternehmen der Branche Mindestlöhne vorschreibt. Dieses Ziel formulierte Transnet schon vor vier Jahren– geschehen ist seitdem nichts. RICHARD ROTHER

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