Flexible Arbeitszeit und kein Spaß dabei

Menschen mögen geregelte Arbeitstage. Sie halten wenig von Sabbatjahren. Zeitkonten nützen vor allem den Firmen

BERLIN taz ■ Die Idee klingt bestechend: Der Mensch ackert nicht Tag für Tag von neun bis fünf, sondern flexibel. Hat er Lust und die Firma viel zu tun, sammelt er Guthaben auf Arbeitszeitkonten. Möchte er seine Kinder hüten oder das Haus umbauen, entnimmt er die angesparte Zeit. In der Praxis aber nutzen Beschäftigte Arbeitszeitkonten nur sehr selten, fanden jetzt Forscher des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung heraus. Weit lieber ist ihnen ein starrer Stundenplan.

„Für Arbeitnehmer bergen Arbeitszeitkonten hohe, unkalkulierbare Risiken“, sagt Eckart Hildebrandt, Mitautor der Studie. „Sie sind eher unbeliebt.“ Die Wissenschaftler untersuchten fünf exemplarische Unternehmen, befragten 15 Manager und 74 Beschäftigte. Alle diese Betriebe bieten ihren Mitarbeitern an, Überstunden anzusparen und sie als mehrwöchige, gar monatelange Freizeit zu entnehmen – ein bislang noch seltenes Modell.

„Die Betriebe haben einen höheren Bedarf an flexibler Arbeitszeit als die Angestellten“, sagt Hildebrandt. So profitieren vor allem die Firmen von Zeitkonten: Der Chef fordert, bis spät in die Nacht und am Wochenende zu arbeiten. Das dürfen sich die Mitarbeiter auf einem Konto gutschreiben. Ob sie die angesparte Zeit aber tatsächlich entnehmen können, ist fraglich. „Meist ist die Personaldecke zu dünn, als dass ein Mitarbeiter auf Wochen verschwinden könnte. Er müsste seinen Kollegen die Mehrarbeit aufbürden – das macht ihn nicht gerade beliebt“, sagt Hildebrandt.

Die meisten Arbeitnehmer, fanden die Forscher heraus, wissen zudem mit so viel freier Zeit auf einmal gar nichts anzufangen. Wer monatelang Familie und Freunde vernachlässige, um sein Arbeitskonto zu füllen, könne wochenlangen Urlaub dann gar nicht genießen. „Fast alle Befragten waren sich einig“, so Hildebrandt, „sie wollen Verlässlichkeit, ein regelmäßiges Leben mit freien Wochenenden und geregeltem Feierabend.“

Allenfalls alltägliche Flexibilität ist gefragt: Zum Beispiel die Chance, den Dienstbeginn an die Schulzeiten der Kinder anzupassen oder einen Tag frei zu nehmen, weil das Kind krank ist. Aber selbst hier zögern Arbeitnehmer, Wünsche anzumelden. Sie fürchten um ihre Karriere. Und de facto bleibt im Alltag einer Firma ohnehin nicht viel Raum, die Arbeitszeiten zu verschieben: Ein Plan schreibt vor, wann Konferenzen stattfinden oder Kunden zu betreuen sind.

„Beschäftigte nutzen Arbeitszeitkonten fast nur defensiv“, ist daher das Fazit der Wissenschaftler. Sie verwenden Zeitkonten nur dann, wenn der Betrieb es verlangt. Stapeln sich die Aufträge, arbeiten sie bis spät in die Nacht. Herrscht Auftragsflaute, bleiben sie zu Hause.

„Die Lebensqualität steigt durch flexible Arbeitszeiten in der Regel nicht“, so Hildebrandts Fazit. „Heute arbeiten, später leben – das ist für die meisten unattraktiv.“ COSIMA SCHMITT