Wahlstreit stellt Nigeria vor eine Zerreißprobe

Nach umstrittener Wahl droht Instabilität im Norden, im Niger-Flussdelta und um Lagos – eine explosive Kombination

BERLIN taz ■ Es war wie das Vorspiel zu einem Putsch. Stundenlang warteten Journalisten und Beobachter im Pressezentrum der Wahlkommission in Nigerias Hauptstadt Abuja am Dienstagabend auf die offizielle Bekanntgabe des Präsidentschaftswahlergebnisses. Plötzlich besetzten die Führer der konservativen Oppositionspartei ANPP (All Nigeria People’s Party) die Tribüne und erklärten den verblüfften Zuhörern, es habe in Nigeria gar keine Wahl gegeben und „niemand hat das Mandat des Volkes erhalten“. Als die Wahlkommission kurz darauf in einem Nebengebäude das Endergebnis der Präsidentschaftswahl vom 19. April verkündete – 32,2 Prozent für ANPP-Kandidat Muhammadu Buhari, 61,9 Prozent für Amtsinhaber Olusegun Obasanjo – merkte das kaum jemand. So musste die Verkündung wenig später wiederholt werden. „Es war ein richtiges Theater“, berichtete ein Teilnehmer der taz.

Die ANPP erklärte am Dienstag, sie werde keine Regierung anerkennen, die aus dieser Wahl hervorgeht. In 15 der 36 Bundesstaaten habe es keine ordentliche Wahl gegeben. Buhari rief seine Anhänger auf, „friedlich und gesetzestreu zu bleiben“, während die Partei über das weitere Vorgehen berät. Vermutlich wird zunächst der Rechtsweg beschritten. Auf ihrer Seite hätte Nigerias Opposition dabei die EU-Wahlbeobachter, nach deren Meinung in 12 der 36 Bundesstaaten so ernste Unregelmäßigkeiten erfolgten, dass „die Minimalstandards für demokratische Wahlen nicht erfüllt“ wurden.

Eine Teilannullierung der Wahl würde dem Ruf von Nigerias junger Demokratie schaden. Aber eine Bestätigung würde die Gefahr des Legitimationsverlustes bergen. Obasanjo und seine PDP (People’s Democratic Party) gewann Mehrheiten im ganzen Land außer im konservativen muslimischen Norden, wo die ANPP sich durchsetzte. Nigerias Nordhälfte entzog sich bereits während Obasanjos erster Amtszeit der Autorität des Zentralstaats durch die Einführung des islamischen Scharia-Strafrechts. Weitere Schritte in Richtung einer faktischen Sezession wären zu erwarten, falls Obasanjo bei einer Wahlanfechtung ungeschoren davonkommt.

Am größten und offensichtlichsten war die Wahlmanipulation zugunsten Obasanjos im Niger-Flussdelta, wo Nigerias Ölfelder liegen. Hier verschärfen bewaffnete Milizen bereits ihre Aktionen gegen Ölkonzerne und Militär, worauf die Zentralregierung – deren Haushalt zu 80 Prozent von Ölexporteinnahmen abhängt – mit stärkerer Repression antworten dürfte.

Eine Radikalisierung deutet sich ebenfalls in und um Nigerias größte Stadt Lagos an. In dieser Region Nigerias regierte bisher unangefochten die aus der Demokratiebewegung des südwestnigerianischen Yoruba-Volkes hervorgegangene AD (Alliance for Democracy). Diesmal unterstützte sie Obasanjo als Präsidenten – und büßte daraufhin einen Großteil ihrer gewählten Ämter zugunsten der PDP ein. Nur der Bundesstaat Lagos ist noch in AD-Händen. Zunächst akzeptierte zwar ein Sprecher der Partei die Wahlergebnisse, aber der mächtige Yoruba-Kulturbund „Afenifere“ widersprach dem jetzt und verlangt eine Abkehr von Obasanjo.

Gefährlich für Nigerias Stabilität wird all das erst, wenn die Muslime im Norden, die Yorubas in Lagos und die Milizen im Delta eine Einheitsfront gegen Obasanjo bilden. Erst dann wäre der Zustand erreicht, in dem das Militär in die Versuchung geraten könnte, putschend als „Retter“ einzuschreiten.

Aber auch unterhalb dieses eher unwahrscheinlichen Szenarios dürfte politische Gewalt in Nigeria zunehmen, bis Obasanjo allmählich die Kontrolle über einzelne Landesteile verliert. Vorschub leistet dem Nigerias größte soziale Veränderung seit Ende der Militärherrschaft 1999: die Einführung des Mobilfunks. Früher waren Kommunikationsprobleme ein effektives Hindernis für Regierungsgegner, sich zu koordinieren und bewaffnete Anhänger in Aktion zu rufen. Der Siegeszug des Handys macht Milizenführern und Destabilisierern in Nigeria das Leben leicht. DOMINIC JOHNSON