Schiitische Prozessionen alarmieren die USA

Die US-Regierung ist überrascht von der Stärke der größten Religionsgemeinschaft und fürchtet ein iranisches Modell

BERLIN taz ■ Die schiitischen Prozessionen zum Ende des Trauermonats Moharram haben die Strategen in Washington alarmiert. Mitarbeiter der US-Regierung erklärten gegenüber der Washington Post, die Regierung habe die organisatorische Stärke der Schiiten unterschätzt und sei nicht darauf vorbereitet, das Streben nach einer antiamerikanischen, fundamentalistischen Regierung zu unterbinden. Die Regierung hofft zwar, dass der von den USA geführte Krieg die Region insgesamt demokratisieren werde. Doch die Mitarbeiter sagten gegenüber der Post, das Ergebnis könne auch islamistische Tendenzen stärken.

„Dies ist ein Projekt für die nächsten 25 Jahre“, wird ein Dreisternegeneral zitiert. „Alle waren der Meinung, dass es sich um ein hohes Risiko handelt und dass das Ergebnis überhaupt nicht klar war.“ Verteidigungsminister Rumsfeld sagte laut New York Times, ein iranisches Regierungsmodell für den Irak entspräche nicht den demokratischen und pluralistischen Prinzipien, die nach Auffassung der USA Grundlage einer künftigen irakischen Regierung sein sollten.

Der Kandidat des Pentagons für die Rolle eines irakischen Interimsregierungschefs, Ahmad Chalabi, ist ein Schiit und zugleich demokratisch orientierter Politiker. Möglicherweise gingen Rumsfeld und seine Freunde davon aus, dass sie damit die irakischen Schiiten „in der Tasche“ haben. Doch selbst die politisch-religiös Aktiven unter der Geistlichkeit sind alles andere als einheitlich „organisiert“, wie unter anderem die jüngsten gewaltsamen Auseinandersetzungen in Nadschaf gezeigt haben.

Besorgnis in Washington rufen auch Berichte hervor, nach denen Mitglieder der Badr-Brigade aus dem Iran in den Südirak eingesickert sind. Dabei handelt es sich um den bewaffneten Arm des schiitischen „Höchsten Rats der Islamischen Revolution im Irak“ mit Sitz in Teheran. Laut New York Times sind mehrere Mitglieder dieser Truppe nach dem Sturz Saddam Hussens in den Irak gelangt und vertreten in den Städten Nadschaf, Kerbela und Basra „iranische Interessen“. Nach Angaben von Mitarbeitern der US-Regierung kommt diese Entwicklung zwar nicht unerwartet, ist aber in einer Zeit des Machtvakuums Besorgnis erregend. Zu befürchten sei eine Einmischung von außen, die sich für ein iranisches Modell stark mache, also einen geistigen Führer, der sowohl die höchste religiöse als auch politische Führung verkörpere.

Zwar ist der Südirak das historische Kernland der Schiiten, doch die Iraner sind Perser, während die Iraker Araber sind. So hoffen nun Regierungsmitarbeiter in Washington darauf, dass der irakische Nationalismus den „persischen Fundamentalismus“ in Schach hält.

Die USA haben unterdessen den Iran gewarnt, sich im Irak einzumischen. „Sollten sich Agenten unter die schiitische Bevölkerung (Iraks) mischen, würde das eindeutig in diese Kategorie fallen“, sagte ein Sprecher des US-Präsidenten. BEATE SEEL