Auf der Suche nach Licht im Schattenwald

Die bislang unpopuläre Band „Sophia“ startet in Münster ihre Deutschland-Tour und breitet ihre finsteren Landschaften aus: voll sanfter Melancholie und wuchtiger Verzweiflung. Weitere Konzerte in NRW folgen

Nur wenige Monate wird es dauern, dann erobert die bislang unpopuläre Band „Sophia“ endgültig die Welt, denn die Lobpreisungen auf das Musikerkollektiv um den Sänger und Songwriter Robin Proper-Sheppard reißen nicht ab. Was daran liegt, dass der Amerikaner unlängst den breiten Support des Labels „City Slang“ genießt. Das ist der erste Major-Deal in der Historie der Band, die seit knapp sechs Jahren selbständig Meisterwerk an Meisterwerk reiht: Jedes davon ist seltsam wundervoll, jedes enthält majestätische, in Moll gemeißelte Hymnen, denen sich der Zuhörer nur schwer entziehen kann.

„Fixed Water“, das erste Album, ist quasi ein finsterer Fichtenwald, in dem jeder herumirrt, sich verliert und nach Licht sucht. Doch es ist aussichtslos, überall lauern bestürzende Melodien, beengen die Texte mit zartgrauen Wolkendecken. Erst auf dem zweiten Longplayer, „The Infinite Circle“, öffneten sich allmählich Hoffnung spendende Felder, auf die der Flüchtende sich zunächst sehnsüchtig stürzt – um dann festzustellen: Ich will zurück, zurück in den Wald.

Bei ihrem Tour-Auftakt im ausverkauften Gleis 22 in Münster breitete „Sophia“ eben jene schützend dunkle Landschaft vor uns aus. Obschon zu befürchten war, die zum Geheimtipp geadelte Band könnte sich nun zum Sklaven der Musikindustrie machen und eher auf Rentabilität als auf Qualität setzen. Die schnaubende Pop-Maschinerie hatte auf jeden Fall schon gewirkt: Major-Deal, eigenes Video, Radio-Rotation und endlich der Chart-Einstieg mit der aktuellen, dezent poppigen Platte „People are like seasons“ – eine Woche auf Platz 66, immerhin.

Doch die vermeintliche Ahnung trügte. Die ersten Songs atmen immer noch jene vertraute Stimmung, aus der „Sophia“ die namentliche Weisheit saugt: die Melancholie. Wie leicht und traurig-schön der Refrain in „Fool“ vorbei schwebt; wie zerbrechlich die Zeilen in „If only“ live doch klingen. Und Proper-Sheppard steht einfach nur da, gibt sich dem Schmerz mit zugeklappten Augen hin. Schade bloß, dass der Rest der Band zuweilen ausschaut wie ein emotionsloser Haufen.

Erst bei „Every day“ ziehen die Wolken ab, der Blick wird schärfer. Dramaturgisch ist die Set-Liste so einfach wie eindringlich gestrickt. Es wird betulich lauter, die Bäume werden wütend gefällt, zerstückelt, zerhackt. Das Zugaben-Set ist brachial, voll blinder Verzweiflung – und offenbart die Live-Qualitäten der Band: Die alte Wucht, die schon bei „The God Machine“ regierte, Proper-Shepards früherer Band, die nach dem unerwarteten Tod ihres Bassisten Jimmy Fernandez jäh erstarb.

Am Ende steht man also da, in Münster, der Fahrradstadt, inmitten eines ungewöhnlich jungen Publikums: die treibenden Bassläufe der letzten Songs im Rücken, ihren Drive im Ohr. Proper-Sheppard gibt derweil Autogramme, schüttelt Hände, beantwortet Fragen. Wie immer. Es ist eben doch noch alles beim Alten. Beruhigt begeben sich die Fans auf die Heimreise und freuen sich auf den 9. März. Dann spielt „Sophia“ im Gebäude 9 in Köln.

BORIS R: ROSENKRANZ