Katholische Kirche macht aus Opfern Täter

Kirchenvertreter mobilisieren die Staatsanwaltschaft gegen Ex-Heimkinder: Die werfen der Kirche Missbrauch vor

Aachen/Eschweiler taz ■ Zehn Ex-BewohnerInnen des Eschweiler Kinderheims St.-Joseph brechen ihr jahrzehntelanges Schweigen: Sie machen öffentlich, dass sie von 1956 bis 1970 von Ordensschwestern systematisch körperlich misshandelt wurden – und fordern Entschädigung: Ein entsprechender Antrag liegt dem Versorgungsamt Aachen vor. Doch jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft im Auftrag der „Armen Dienstmägde Jesu Christi“ und der Pfarrgemeinde St.-Peter und Paul: Die Kirchenvertreter haben die ehemaligen Heimkinder angezeigt.

„Wir haben den Verdacht, dass die ehemaligen Heimkinder das Versorgungsamt betrügen wollen“, so der Anwalt der Ordensschwestern, Raimund Winner. Er selbst habe mit etwa fünfzehn Zeitzeugen – darunter auch vier anderen Ex-HeimbewohnerInnen – gesprochen, die die Vorwürfe nicht bestätigen könnten.

„Ich bin regelmäßig mit Rohrstöcken und Kleiderbügeln verprügelt worden“, widerspricht Hermine Schneider als Sprecherin der Gruppe der ehemaligen Heimbewohner. Sie sei nicht nur misshandelt, sondern auch lange sexuell missbraucht worden. Erst im Erwachsenenalter hätte sie darüber sprechen können. „Das Versorgungsamt hat mir bereits 50- bis 60-prozentige Schäden aus dieser Zeit attestiert“, sagt Schneider. Da sie wegen ihrer Erlebnisse im Heim nie richtig arbeiten konnte, sei die Chance auf eine Entschädigungsbewilligung hoch.

„Ich habe ein phänomenales Gedächtnis“, sagt Schneider. Sie hätte dem Versorgungsamt Namen und Geschehnisse nennen können, die andere Betroffene später identisch wiedergegeben hätten. Diese Fakten hätten beim Versorgungsamt Vertrauen erweckt, „die haben uns dann glauben müssen.“ Das Versorgungsamt will sich dagegen seit Eingang der Strafanzeige nicht mehr äußern, verweist auf die übergeordnete Bezirksregierung Münster. Ein Maulkorb aber auch dort: „Das Verfahren ist in der Schwebe, wir dürfen nichts sagen“, so Pressesprecher Stefan Bergmann.

Rückenstärkung bekommen die Eschweiler Opfer durch die neu gegründete „Bundes-Interessengemeinschaft der missbrauchten und misshandelten Heimkinder in Deutschland von 1945 bis 1985“, die die Proteste bündeln will. Nach Medienberichten, etwa in Spiegel und taz, bekommt der Vorsitzende Pierre de Picco nun weitere Unterstützung von ehemaligen Heimkindern. „Es haben sich 300 Betroffene aus ganz Deutschland gemeldet.“ NATALIE WIESMANN