Unschädlicher Sondermüll

Der Lüner Müll-Multi Rethmann verbrannte jahrelang illegal Sondermüll. Das Verfahren wurde trotzdem eingestellt. Jetzt wird einem Gutachter Befangenheit vorgeworfen

LÜNEN taz ■ Götz Reimann ist sich hundertprozentig sicher: „Die illegale Müllverbrennung in Lünen hat der Umwelt enorm geschadet: Ein Gutachten, dass etwas anderes behauptet, muss falsch sein.“ Über die Gifte, die jahrelang in den Hochöfen des Lüner Müllkonzerns Rethmann köchelten, weiß Reimann tatsächlich nur allzu gut Bescheid. Die Essener Firma Kleinholz, in deren Vorstand er bis zur Insolvenz im Jahr 2000 saß, lieferte den Sondermüll, den Rethmann dann mit viel zu niedriger Temperatur verbrannte.

„Der Gutachter der Staatsanwaltschaft hat für Rethmann gearbeitet“, schreibt Reimann in einem Brief an die Presse. „Seine Objektivität ist deshalb ausgesprochen zweifelhaft.“

Der so verdächtigte Lüner Chemiker weist den Vorwurf weit von sich: „Ich habe nie ein Gutachten für Rethmann erstellt“, sagt Bernd Scholz. Als sein ehemaliger Arbeitgeber, die VAW Aluminium AG, von Rethmann aufgekauft wurde, sei er aus der Firma ausgeschieden. „Außerdem hat die Staatsanwaltschaft Darmstadt meine Objektivität gründlich geprüft, bevor sie mich als Gutachter eingesetzt hat.“

Das Ergebnis der fünfjährigen Ermittlungen gegen den Lüner Müll-Multi überrascht allerdings nicht nur Götz Reimann. „Als das Ganze aufflog, wurden schon bei ersten Bodenproben große Mengen giftiger Chlorverbindungen gefunden“, sagt Ellen Leiser vom Bund für Umwelt und Naturschutz. „Warum die jetzt plötzlich nicht mehr giftig sein sollen, ist mir ein Rätsel.“

Das Rätsel hat eine europäische Lösung. „Der europäische Gerichtshof hat in einem aktuellen Urteil die Temperaturgrenzwerte für Müllverbrennung deutlich gesenkt“, sagt Ger Neuber, Sprecher der Staatsanwaltschaft Darmstadt. „Rethmanns Temperaturen waren demnach immer noch zu hoch, aber nur noch ein bisschen.“

Rethmann hatte den Sondermüll der Essener Firma Kleinholz einfach mit normalen Hausmüll zusammen verbrannt. „Etwa 30.000 Tonnen Sondermüll wurden so illegal beseitigt“, sagt der Darmstädter Jurist. „Eigentlich hätte dieser Müll in die teurere Industriemüllverbrennung gebracht werden müssen.“ Aber da die drei Gutachten zu dem Schluss kamen, weder die Lüner Bevölkerung noch die Natur seien zu irgendeinem Zeitpunkt gefährdet gewesen, stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren vergangene Woche ein. „Wegen der europäischen Rechtssprechung hätten wir sowieso keine Chance gehabt.“ Die hessische Sonderkommission „Sondermüll“ hatte 1998 bundesweit in 300 ähnlichen Fällen ermittelt.

„Skandalös“, findet Götz Reimann das Urteil. „Offensichtlich hat Rethmann einen guten Draht zur Justiz.“ Neben der Presse hat er auch die Industrie- und Handelskammer (IHK) Dortmund über seinen Verdacht gegen Bernd Scholz informiert. Die hatte Scholz vereidigt und übt die Rechtsaufsicht über dessen Gutachten aus. „Wir überprüfen den Vorgang“, sagt Gerd Opitz von der IHK. MIRIAM BUNJES