Attacken gegen den Arbeitsterror

Der Verfassungsschutz hat ein neues Betätigungsfeld entdeckt: extremistische Umtriebe gegen den Sozialabbau. Im Visier der Staatsschützer: Rechte wie Linke, Anschläge gegen Arbeitsämter oder das Wohnhaus von Kommissions-Chef Peter Hartz

von Kai Schöneberg

Chaostage höchstens in der Regierung, Castortransporte ohne aus der ganzen Republik angereiste schwarze Blocks – der Verfassungsschutz hat „tiefen Abschwung“ und „Orientierungslosigkeit“ bei „den Autonomen“ ausgemacht. Den bundesweit etwa 6.000 als linksextrem Eingeschätzten „sind viele Themen weggebrochen“, sagt Volker Homuth, Präsident des niedersächsischen Landesamts für Verfassungsschutz.

Und nicht nur links soll es bröckeln. Nach Aussage des Verfassungsschützers Homuth sinke auch die Zahl der extremen Rechten seit Jahren. Auch deshalb hätten die Verfassungsschützer sich ein „neues Tätigkeitsfeld“ erschlossen: Neben PDS, Ultra-Linken, Neo-Nazis, Islamisten oder Wirtschafts-Spionen beobachten sie jetzt „Aktionen gegen den Sozialabbau“, also die militante Variante von Bsirske, Schreiner, Attac & Co.

„Es geht uns nicht um demokratischen Protest“, verteidigt sich Manfred Murck, stellvertretender Leiter des Hamburger Verfassungsschutzes. Vielmehr fürchten er und seine Kollegen, dass Antifa, Spontis oder Trotzkisten wegen Sozialabbaus zu „sachschadenorientierten Aktionsmitteln“ greifen könnten. So nennen es Szene-Blätter und deuten an, dass zum Agenda-2010-Protestieren „vor allem Brand- und Sprengsätze“ geeignet sind. Allerdings versuchen auch Neonazis, das Thema zu besetzen – und Auftrieb zu gewinnen. „Diese Leute kommen ja meist aus den unteren Schichten“, sagt Murck.

Noch geht es um Aktionen auf „niedrigem“ oder „mittleren“ Niveau. So hat eine Farbbeutelattacke auf das Haus von Kommissionsleiter und VW-Personalchef Peter Hartz im Oktober die Verfassungsschützer aufgeschreckt. Auch nach den Anschlägen auf eine Zeitarbeitsfirma in Salzgitter im April oder auf den Computeraum des Arbeitsamts in Hildesheim im November ermittelte nicht nur die Polizei. Damals hatten Unbekannte mehrere Autoreifen angesteckt, der Sachschaden liegt bei 500.000 Euro. Das ausgebrannte Internet-Center war gerade erst eröffnet worden. In Berlin hatte es im Oktober ähnliche Anschläge auf Arbeitsämter gegeben.

In Hildesheim bekannte sich ein Kommando „Autonom bestimmte Maßnahmen“ (ABM). SPD und Grüne setzten derzeit einen „beispiellosen, rasanten Kahlschlag“ durch. Zudem werde die „innere Sicherheit“ ausgebaut, um derjenigen, die „sich organisieren und Widerstand leisten, Herr zu werden“. ABM wehrt sich gegen Hartz-Konzept und „Terror der Arbeit“. Ziel des Anschlags sei, Lohnarbeit und „die damit verbundene Verwertungslogik“ anzugreifen.

In Hamburg versuchen derzeit vor allem trotzkistische Gruppen, mit Aktionen gegen Sozialdumping mehr ins Fahrwasser zu kommen, sagt Murck. Militante Aktionen gab es in den vergangenen zwei Jahren nicht, allerdings beobachte man das frisch gegründete linke „Widerstandsforum“ intensiv. Allenfalls am Rande eines Bekennerschreibens bei einem Brandanschlag auf ein Mercedes-Haus in Poppenbüttel im August bekannte sich eine „Autonome Zelle in Gedenken an Ulrike Meinhof“ dazu, dass es beim Auto-Anzünden auch gegen die „Ausbeutung im Zuge der Globalisierung“ ging. Eine echte Gefahr sehen die Verfassungsschützer also noch nicht im neuen Phänomen. Noch, so Murck, bewege sich die Zahl der Sozial-Aktiven in Hamburg nur „im zweistelligen Bereich“.